Mein Vater, der Busfahrer

Elke Steiner

von Elke Steiner

Story

Ich sehe ihm tief in die Augen, sein starrer Blick wird ganz weich und da, er erkennt mich, ein vertrautes Lächeln huscht kurz über sein Gesicht und er greift nach meiner Hand. „Ich bin‘s, Papa!“ Mein Herz geht auf. Dann beginnt er wieder irgendwas zu brabbeln, man versteht es nicht. Ich erzähle ihm etwas, er versteht mich nicht.

Beginnende Demenz sagten sie mir vor 5 Jahren, als es begann, dass er mit einer Puppe in der Küche sprach, oft eine Stunde in seiner Werkstatt im Keller stand mit einer Schraube in der Hand und einfach nicht mehr wusste, wozu sie dient und wo er überhaupt ist. Er, der handwerklich einfach alles drauf hatte.

Demenz, der Begriff leitet sich ab vom lateinischen Demens „unvernünftig“, ohne Mens, ohne Verstand, also ohne Denkkraftsein sein und kann mit ‚Nachlassen der Verstandeskraft‘ übersetzt werden. Es betrifft vor allem das Kurzzeitgedächtnis, früheres ist lange noch gut abrufbar.

Angst hatte ich, wenn mein Vater plötzlich verschwunden war und die Autoschlüssel auch. Oder, als ich plötzlich seinen elektrischen Rasierer im Bad hörte plus Wasserhahn. Manchmal sprach er mit den Fischen im Gartenteich, was ja nicht so schlimm wäre, hätte er es früher auch mal getan, und würde er sie nicht jetzt mit Gartengeräten füttern.

Überschallflugzeuge wollte er fliegen, einmal ein eigenes Motorrad besitzen, große Pläne hatte er für sein Leben, Träume die nie wahr wurden außer 13 Jahre Bergrettung, die Berge waren seines. Doch Elektromeister wurde er, weil nach dem Krieg Ausbildungsplätze rar waren. Als er das Geld für sein Motorrad zusammengespart hatte, gab es plötzlich ein Grundstück zu kaufen und Vernunft vor Spaß nahm er es. Er baute zusammen mit meiner Oma ein Haus für uns 5 Kinder, die es damals noch nicht gab.

Einmal kam er ins Krankenhaus und ich fragte nach meinem Vater, sie wussten nicht genau wen ich meinte, als plötzlich eine Schwester rief „Ach so, der Herr Busfahrer!“ . Sie führten mich zu einem Zimmer mit einem aufgeklebten Bild von einem Autobus.“ So findet er sein Zimmer wieder!“ . Den Schwestern erzählte er, er sei Busfahrer gewesen, ich musste herzlich lachen, als ich das Zimmer betrat und mein Vater strahlte mich an. Ich umarmte ihn.

Als ich noch klein war, haben wir 2 gerne Grimassen geschnitten, besonders wenn meine Oma mal wieder böse über den Mittagstisch blickte, weil jemand seine Tischmanieren vergaß, sahen wir uns immer an, spitzten den Mund wie sie es tat und schüttelten dabei verneinend und mit finsterem Blick den Kopf. Meist konnte ich mich kaum noch halten vor Lachen. Oder wenn wir hinterm Haus Tischtennis spielten, fiel ich regelmäßig um vor Lachen, wenn mein Vater Grimassen schnitt.

Nun sitzt er hier im Heim, auf seinem fahrbaren Stuhl, neben anderen, die auch Wolken im Kopf haben, die alles vernebeln und nur manchmal klare Sicht gewähren, wartend auf irgendetwas.

Mit unseren Grimassen hol’ ich ihn heute zu mir, ins Jetzt und da kommt es wieder, dieses Lächeln, das tief in mein Herz rutscht.

© Elke Steiner 2019-04-12

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