Mein Vater der Tyrann

Martin Martinez

von Martin Martinez

Story
2011

Mein Name ist Martin S. Martinez, Sohn einer einflussreichen Familie und zugleich ein Gefangener meiner eigenen Eltern. Ihr wißt nicht, welch Martyrium ich durchleben musste, welch Qualen ich erlitt, wie laut der Ruf nach Freiheit in mir tobt!

Mein Vater ist mächtig, herrisch und seine sadistischen Züge versteckt er in der Öffentlichkeit hinter seinem schmierigen Grinsen und Unmengen von Geld. Geld, sein Instrument, mit dem er seine Knechte wie Puppen tanzen lässt. Ein hochrangiger Diplomat, der Dauergast in unserem Anwesen in England ist, meinte einmal:,, Mr. Martinez, Ihre Angestellten benötigen nicht einmal Ketten? In meinem Land würden die Diener sofort flüchten, wenn ich ihre Leinen öffnen würde.“ In schallendem Gelächter legten sie sich die Arme über die Schultern und blickten sich mit ihren kaltherzigen Augen, tief in den Hohlraum wo sich bei gesunden Menschen die Seele befindet.

Ich durfte mir dieses, und seit 28 Jahren, hunderte solcher Treffen mitansehen. Bei gekippten Fenster stand ich in meinem Vorhang eingewickelt und brach in Tränen aus. Welch herzloser Mensch hat mir einst das Leben geschenkt? Wie konnte dieser Mann nur eine Frau finden? Was würde ich dafür geben, wenn dieser Tyrann verschwinden würde!

Freiheit, geistig und körperlich, Begriffe, die ich nur aus den unzähligen Büchern kenne, in denen ich mich vergrabe, regelrecht verstecke, wenn der König der Familie wieder seinen “Kinskischen Anfällen” freien Lauf lässt. Ich sitze meist an meinem Mahagoni Schreibtisch in der Bibliothek des Hauses, halte mir die Ohren zu, bete, dass Mutter überlebt und der Teufel zurück in die Hölle geht!

Vor einigen Jahren weckte mich mein Butler, Henry, im Morgengrauen. Völlig aufgebracht rüttelte er mich wach. ,,Martin, steh auf! Mr. Martinez erwartet dich in der Empfangshalle, schnell, es ist besser, wenn wir ihn nicht länger warten lassen, bitte beeile dich Martin, bitte!“

Henry und ich rannten so schnell wir konnten den weißen Marmorflur entlang und blieben auf der Galerie stehen, dort konnte ich Mutter schon weinen hören und sah wie sie sich, in der überdimensionierten Eingangshalle unseres herrschaftlichen Wohnsitzes, über einen Sarg aus Kirschholz beugte und um meinen Vater trauerte.

Sie entdeckte Henry und mich wie wir uns auf der Galerie zwischen den römischen Säulen versteckten und schrie, ohne zu zögern:,,Komm doch hinunter Martin und verabschiede dich von deinem Vater! Worauf wartest du noch, er hat dir das Leben geschenkt, zeig ihm deine Liebe!“

Ich schritt mit gesenktem Haupt die 200 Stufen hinab, ging auf den Sarg zu, sah dem Satan ins Gesicht, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und wünschte ihm eine gute Reise.

Mutter nahm mich fest in den Arm, dann sprang Vater aus dem Sarg, packte mich am Hals und schrie mich an. ,,Was glaubst du eigentlich wer du bist, was wäre, wenn ich wirklich sterben würde, so lange lässt du mich also warten, du kannst nicht mein Sohn sein, wo ist nur deine Liebe?“

© Martin Martinez 2021-04-04