Mein Weg! -22- Ziel: Renesse

TomTom

von TomTom

Story
Europa 1971 – 2025

Doch trotz aller Zweifel, trotz der Müdigkeit und der langen Wege – irgendetwas trieb mich weiter. Vielleicht war es der stille Stolz, durchzuhalten. Vielleicht die Hoffnung, dass sich aus dieser anfänglichen Fremdheit doch noch ein Platz für mich formen würde. Oder vielleicht einfach nur der Wille, nicht aufzugeben, bevor ich nicht wirklich verstanden hatte, worum es in diesem Beruf – und in dieser Phase meines Lebens – eigentlich ging.

Heute weiß ich: Diese anderthalb Jahre waren kein Umweg. Sie waren der Anfang eines Weges, den ich erst später zu schätzen gelernt habe.

Es war der Sommer, in dem sich etwas veränderte – nicht dramatisch, nicht laut, aber tief. Ich war sechzehn und bereit für mehr als den vertrauten Radius meines Heimatortes. Der Wunsch nach Freiheit war kein stürmisches Aufbegehren, sondern ein stilles Ziehen irgendwo hinter den Rippen. Ich wollte raus. Nicht fliehen, sondern entdecken. Nicht abhauen, sondern ankommen – bei mir selbst.

Pauli, mein bester Freund seit dem Sandkasten, war sofort dabei. Er hatte diese unerschütterliche Ruhe, die mir oft fehlte, und eine Abenteuerlust, die sich perfekt mit meiner Sehnsucht verband. Es war keine große Planung, keine Karten, keine exakte Route. Nur eine Idee: mit dem Fahrrad nach Renesse an der holländischen Nordsee. 170 Kilometer. Zwei Jungs. Zwei Räder. Ein Ziel.

Unsere Eltern waren skeptisch, vielleicht auch ein bisschen ängstlich – aber sie ließen uns ziehen. Vielleicht spürten sie, dass das hier etwas war, das wir brauchten. Keine Klassenfahrt, kein betreuter Jugendausflug. Das hier war echt.

Schon nach den ersten Kilometern spürte ich es: ein neues Gefühl von Verantwortung, von Unabhängigkeit. Die Straße gehörte uns. Der Wind war plötzlich nicht mehr etwas, das man hinnimmt, sondern ein Gegner, den man bezwingen konnte. Der Regen, der uns auf halber Strecke erwischte, war kein Ärgernis, sondern ein Beweis dafür, dass wir lebten. Tropfnass saßen wir unter einer Brücke, lachten, teilten ein trockenes Brot und fühlten uns wie Helden.

Unsere Gespräche während der Fahrt waren anders als sonst. Tiefer. Offener. Vielleicht, weil es keine Ablenkung gab – nur die Straße, das Knirschen der Reifen und den gleichmäßigen Rhythmus unserer Tritte. Wir sprachen über Träume, über Ängste, über das, was uns wirklich bewegt. Ich glaube, in diesen Tagen habe ich Pauli besser verstanden als je zuvor – und vielleicht auch mich selbst.


© TomTom 2025-06-27

Genres
Biografien
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Hoffnungsvoll, Unbeschwert, Reflektierend
Hashtags