Mein Weg! -47- Die ErnĂĽchterung

TomTom

von TomTom

Story
Europa 1971 – 2025

Doch je mehr Semester verstrichen, desto mehr wich diese anfängliche Begeisterung einer leisen, dann immer lauteren Ernüchterung. Es war nicht so, dass mir die Themen egal gewesen wären – im Gegenteil. Aber das Studium folgte nicht dem Pfad, den ich erwartet hatte. Statt Erkenntnis zu fördern, schien das System vor allem auf Effizienz und Anpassung ausgelegt. Es ging um Module, Credit Points, Prüfungstermine, Fristen. Alles war durchgetaktet. Kaum hatte man ein Thema oberflächlich erfasst, musste man es schon abhaken und sich dem nächsten widmen. Tiefergehende Auseinandersetzung? Zweitrangig. Zeit zum Reflektieren? Fehlanzeige.

Der Druck stieg von Semester zu Semester. Die Stoffmengen wurden gewaltiger, die Prüfungen dichter, die Anforderungen härter. Ich saß oft stundenlang über Skripten und Folien, paukte Definitionen, Formeln, Theorien – nicht aus Interesse, sondern aus Angst, zurückzufallen. Und immer öfter stellte sich mir dieselbe nagende Frage: Warum mache ich das eigentlich? Warum sollte ich mir Wissen eintrichtern, von dem ich insgeheim wusste, dass es nach der Prüfung ohnehin wieder verpuffen würde?

Diese Frage ließ mich nicht mehr los. Ich fühlte mich zunehmend wie ein Teil einer Maschine, die auf Produktivität getrimmt ist, aber wenig Raum für Persönlichkeit, Zweifel oder Kreativität lässt. Ich vermisste das echte Lernen – das Staunen über neue Zusammenhänge, das Ringen mit komplexen Fragen, das Gefühl, einem Gedanken wirklich auf den Grund zu gehen. Stattdessen übte ich mich im Auswendiglernen, im Funktionieren, im Stillhalten. Und je länger ich versuchte, mich dem System anzupassen, desto mehr verlor ich das Gefühl, noch bei mir selbst zu sein.

Es war ein schleichender Prozess. Kein plötzlicher Knall, sondern eine langsame Entfremdung. Ich fing an, mich zu fragen, ob das Problem bei mir lag – ob ich einfach nicht belastbar genug war, nicht ehrgeizig genug, nicht diszipliniert genug. Doch tief in mir wusste ich: Es war nicht der Mangel an Wille oder Interesse, der mich zermürbte. Es war der Mangel an Sinn. Trotzdem biss ich die Zähne zusammen und kämpfte mich durch. Nicht aus blindem Ehrgeiz, sondern weil da tief in mir noch ein kleines Stück Hoffnung war – der Glaube, dass das alles irgendwann einen Sinn ergeben würde. Ich wollte nicht aufgeben. Nicht wieder. Nicht dieses Mal.

Es gab Nächte, in denen ich schlaflos auf meinem Bett lag, die Decke über dem Kopf, und die Stimmen in meinem Kopf wurden lauter als alles andere. Selbstzweifel. Angst. Wut. Immer wieder fragte ich mich: Warum tust du dir das an? Warum kämpfst du für ein System, das dir so wenig Raum zum Atmen lässt?

Und doch: Am nächsten Morgen stand ich wieder auf. Mit müden Augen, mit schwerem Herzen – aber ich stand auf.


© TomTom 2025-07-23

Genres
Biografien
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll, Angespannt
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