Mein zweites Ich ohne Wurzeln

SusanMary

von SusanMary

Story

Seit ich mich hier auf story.one eingeloggt habe, bestimmen Themen-Wellen einige Zeit die Inhalte der Erzählungen. Als ich im März meine ersten Schritte hier machte, war es die Corona-Welle. Der folgte eine Welle, mit der uns (Zitat einer sehr geschätzten Autorin) “die Rechtschreibrute ins Fenster gestellt wurde”. Vor Kurzem mussten wir die Schwere einer “Anklage- und Verteidigungswelle” überstehen, die nun von einer Welle abgelöst wird, von der auch ich mich tragen lassen möchte. Es ist eine Bewegung, in der “Das zweite ICH” uns bekannter Autoren vorgestellt wird. Ungemein mutig und vermutlich eine persönliche Herausforderung!

Seit ich die diesbezüglichen Texte von Faz und Moana gelesen habe, reizt es mich, auch von meiner unbekannten zweiten Hälfte zu erzählen.

Über etwas nicht reden, etwas nicht zeigen, weil man sich entscheidet, es zu verschweigen oder gar zu verstecken, lässt einen noch immer frei sein. FREI in Handlung und Entscheidung. Mitunter reicht das nicht für die Ewigkeit.

Mit Mut und dem Bedürfnis sich in seiner Gesamtheit zu zeigen, entstehen dann doch die ETWAS ANDEREN GESCHICHTEN. Geschichten, die eben nur das Leben schreibt, …

Über mein zweites Ich zu berichten und über Unbekanntes schreiben, das mein Leben geprägt hat, spürt sich an, als würde ich mich einer unbekannten Sprache bedienen und trotzdem jedes Wort verstehen.

Darüber zu schreiben, seine Gedanken laufen lassen, sie nicht bändigen und bewerten…

…bewirkt das Veränderung? Veränderung, die hilft, etwas in mein Leben zu integrieren, das ES GIBT und das es gleichzeitig NICHT GIBT. Das eine nicht zu füllende Leere für sich beansprucht, weil sich die Fakten mit dem Schicksal solidarisiert haben und mir zurufen “Wir können uns nicht mehr ändern. Jedoch, DU kannst es!”

Also beginne ich. Beginne ich vorerst mal zu schreiben…

Meine 2. Hälfte – meine 50% väterlicherseits – haben ihre Wurzeln in Estland. Mein Vater – und seine Familie, somit auch MEINE Familie waren deutschsprachige Esten. Diese Minderheit Ende des 19. Jahrhunderts noch zur sogenannten Oberschicht gehörend, verlor die Heimat, als Estland seine Unabhängigkeit verlor…

Jahrelange umfangreiche Bemühungen (über Botschaften und RK) über meine estnische Familie etwas zu erfahren, blieben erfolglos.

Was bleibt, sind Fragen..

Habe ich Glück, weil die Wurzeln mütterlicherseits so weitläufig sind? Sie reichen von Wien übers kroatische Burgenland bis nach Ungarn

JA, ICH HABE GLÜCK. Es sind – Gott sei Dank – starke Wurzeln. Selbst in England geboren, habe ich auch von dort mitgenommen, was ich tragen konnte…

Kann man sich nach etwas sehnen, das man nie kennen gelernt hat?

JA, MAN KANN! Ich weiß es…

Spürt man, wenn man einen Teil seiner Wurzeln nicht kennt?

JA, MAN SPÜRT ES!

Kann man etwas lieben, von dem man kaum etwas weiß?

JA, MAN KANN! Ich spüre sie diese unerfüllte Liebe, die zu mir gehört, wie mein 2. Ich – meine 2. Hälfte – 50% meiner Wurzeln – dort, irgendwo in Estland…

© SusanMary 2020-08-10

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