von Uwe Böschemeyer
Ich liebe Wien. Ich liebe Wien seit 75 Jahren. Denn vor 75 Jahren reiste meine Mutter vom Norden Deutschlands nach Wien, wo mein Vater als Soldat stationiert war. Ich vermute, dass meine Mutter nie glücklicher war als in diesen 6 Wochen. Als sie wieder zu Hause war, kochte sie wienerisch, sprach wienerisch, sang wienerisch, erzählte von Wien. Und sie entzündete in mir die Liebe zu dieser Stadt in der Ferne, die mir bunt und warm und weit erschien.
Jahre später hörte ich Wiener Lieder, spielte sie auf dem Klavier und sang voller Inbrunst dazu. (Ich höre sie bis heute gern).
Dann – wir befinden uns inzwischen im Jahr 1971- lernte ich Viktor Frankl, den berühmten Wiener Neurologen, Psychiater und Begründer der Logotherapie, einer sinnzentrierten Psychotherapie kennen. Mein Chef an der Universität Hamburg, dessen wissenschaftlicher Assistent ich war, hatte mir nahegelegt, über Frankls Werk meine Doktor-Arbeit zu schreiben und deshalb den großen Mann in der Mariannen-Gasse 1 zu besuchen.
Diese Begegnung veränderte mein Leben. Viktor Frankl, der als Jude so viel gelitten hatte, erschien mir als der Therapeut der Hoffnung! Mehr noch: Als Mensch, dessen Weisheit, Weitherzigkeit und Weitsicht mich tief beeindruckte. Zwischen den Jahren 1971 und 1975 fuhr ich immer wieder zu ihm und stellte ihm 1000 Fragen, die er mir geduldig und offenbar gern beantwortete. Ich war (und bin) stolz darauf, dass ich sein persönlicher Schüler werden durfte.
An dem Abend, an dem er mich im Rahmen der American Medical Society of Vienna geprüft hatte, veranschaulichte er mir noch einmal einen zentralen Aspekt seiner Arbeit: Er wollte unbedingt in einem bestimmten Wiener Restaurant essen, in dem er seit 20 Jahren nicht mehr gewesen war. Er fand es nicht. Irgendwann wagte ich, ihn daran zu erinnern, dass Wien durchaus auch andere Restaurants hätte. Er überhörte vornehm meinen Vorschlag und ließ mich weiterfahren. Er wurde still – und erinnerte sich plötzlich an das von ihm avisierte Ziel.
Nicht aufgeben! Ausgerichtet bleiben auf sein Ziel. Vermutlich war es auch diese Einstellung zum Leben, die ihn das Konzentrationslager überleben ließ. Wie damals, als er in Auschwitz in der Morgenfrühe sich zur „Arbeit“ schleppte und die Vision eines warmen Hörsaales kommen ließ, in dem er wieder einen Vortrag halten würde.
Selbstverständlich habe ich während meiner Studienaufenthalte in Wien keineswegs nur studiert, sondern auch diese wunderbare Stadt genossen. So fuhr ich einmal in Schlangenlinien am späten Abend unter dem mir noch nicht bekannten Einfluss des Heurigen jubelnd durch die stille Stadt.
Die letzte große Stunde in Wien erlebte ich, als mir aufgrund der Weiterentwicklung der Logotherapie in der Universität Wien die Ehrenprofessur überreicht wurde.
Schließlich denke ich an den Steffel, das Wahrzeichen von Wien. Und wenn ich da bin – „muss“ ich in diesen wunderbaren Dom. Er ist mir wie ein Zuhause.Ich blieb und bleibe Wien treu. Ich liebe Wien.
© Uwe Böschemeyer 2019-10-05