Ich stand auf dem Busbahnhof Meidlinger Hauptstraße und fächelte mir mit der Gratis-Zeitung Kühlung zu. Mein Blick fiel auf die gegenüberliegende, überdachte Haltestelle der Linien 10A und 63A, flankiert von 2 Bänken, die im Freien standen. Alle dort Wartenden waren fast komplett der Sonne ausgesetzt. Ich hingegen stand im Schatten unter einem Vorsprung des Bürogebäudes, mit Betonung auf „stand“. Warum gab es DA keine Bank?
Sofort wurde ich mir einer gesellschaftspolitischen Mission bewusst, zückte mein Handy und fotografierte die Situation: Hier der große Schattenbereich ohne Bank, vis-a-vis die Bänke ohne Schatten. Ich mailte die Fotos an das Büro der Wiener Linien. „Die werden das ignorieren“, dachte ich. „Nein, die werden dich feiern für die Idee“, jauchzte mein „inneres Kind“, das jahrelang in der Werbe-Branche gearbeitet und daher positiv denken gelernt hatte.
Nun, es geschah gar nichts: Der Schatten blieb ohne Bank und die Bank ohne Schatten. Dann kam der Anruf! Eine männlich-junge Stimme entschuldigte sich im Namen der Wiener Linien für die lange Wartezeit: „Ich werde in den nächsten Tagen einen Beauftragten zum Busbahnhof schicken, der sich die Situation ansieht“, sagte die Stimme. Ich war tatsächlich wahrgenommen worden von einer wichtigen Institution dieser großen Stadt Wien, ich, die kleine Jahreskarten-Besitzerin! Ich vergaß die Sache – aber nur eine Woche…
Dann stand die Bank da!!
Leibhaftig, aus honigblondem Holz getischlert, gelagert auf massivem Metallkonstrukt, mit zwei Bügeln versehen, um einen berührungsfreien Sitz zu bieten! Das Dankes-Mail wurde vielleicht zu überschwänglich und beflügelt die Wiener Linien zu weiteren Bank-Aufstellungen…?
Mein „inneres Kind“ blähte sich auf: „Du hast eine Großtat vollbracht! Du hast ein gesellschaftspolitisches Problem erkannt und erfolgreich gelöst! Gehe zur Zeitung!! Du bist die Schöpferin einer schattigen Bank in Meidling!! Bewirb dich um ein politisches Amt! Du könntest noch Bundespräsidentin werden – die Erste!“
Ich ging nicht zur Zeitung, denn es gab ein Problem: Wer würde auf der neuen Bank sitzen? „Man muss die Leute anlernen“, sagte das „innere Kind“. „Setz´ DU dich immer auf die Bank, egal, ob dein Bus schon bereit steht oder nicht. Die „armen“ Leute auf den Bänken vis-a-vis sollen sehen, dass Du es besser hast als sie! Ich sitze also tatsächlich immer auf meiner Bank, und gestern war meine Sternstunde:
Es regnete in Strömen, und – siehe da – ein Mann saß auf meiner Bank und rauchte! Ich habe also tatsächlich einen anderen Menschen glücklich gemacht. PolitikerInnen sollten sich ein Beispiel an mir nehmen, oder?
Nachwort: Die Bank gibt es tatsächlich! Zu besichtigen von Mitternacht bis Mitternacht auf dem Busbahnhof Meidlinger Hauptstraße. Benützung gratis. Bring your family!!!
© Traute Molik-Riemer 2020-07-23