von Kara
Es ist jetzt 10 Jahre her. Tage- und wochenlang denke ich kaum daran. Aber dann muss ich wieder einmal eine Blutuntersuchung machen und alles kommt wieder hoch.
Obwohl heute ein wunderschöner Spätsommertag ist, sehe ich den grauen Dezembernebel über Wien liegen. Ich habe mich schon länger nicht wohl gefühlt und an eine verschleppte Grippe gedacht. Aber jetzt kam Fieber dazu. Der Arzt ist keineswegs beunruhigt und nimmt mir routinemässig Blut ab. Am nächsten Morgen beim Frühstück kommt sein Anruf. Die Werte sind alarmierend und er hat schon einige zusätzliche Untersuchungen veranlasst. Jetzt kommt die medizinische Maschinerie in Gang und mein Leben wird nie mehr das gleiche sein. Es ist der 22. Dezember. Der Röntgenologe entdeckt etwas in der Lunge und telefoniert umgehend mit meinem Arzt. Ich kann hören wie er sagt, man sollte mich schonen und mir den Befund erst nach Weihnachten mitteilen. Den ganzen Tag weitere Untersuchungen, am Tag vor Weihnachten eine Biopsie , dann steht fest, es ist ein Non Hodgkins Lymphom.
Alle um mich herum sind sehr besorgt und aufgeregt. Ich hingegen bin wie in Watte gepackt. Ich bin ganz ruhig und fühle mich beschützt. Meine Welt ist eingetaucht in Liebe, wie ich sie vorher noch nie empfunden habe. Ich liebe mich und alle Menschen um mich herum und ich fühle mich geliebt wie nie zuvor. Was dann kommt sind 6 Monate Chemotherapie, körperlich schlechte und gute Tage , Haarverlust und immer wieder Angst und Nervosität, aber meine Grundstimmung , die bleibt. Nichts kann mich ärgern oder kränken, die Welt meint es nur gut mit mir.
Erst nach dem Ende der Therapie , als der Körper die Heilung geschafft hat, bricht meine Psyche zusammen. Tagelang sitze ich zu Hause und bin unfähig irgendetwas zu tun. Meine Gedanken kreisen nur um Tod und Krankheit und ich fühle mich in meiner Schwere gefangen. Ich bin in tiefer Trauer, und meine Welt ist grau. Was betrauere ich eigentlich? Ist es der Abschied von meinem Körper wie er vorher war? Ist es der Verlust der Liebe, die mich so lange begleitet hat? Jedenfalls fühle ich mich alleine und unverstanden. Alle um mich herum sind froh dass die Gefahr abgewendet ist und haben schon wieder die nächsten Sorgen . Ich aber brauche noch Zeit. Die nachfolgenden Kontrolluntersuchungen sind der reinste Horror, immer mit unbeschreiblicher Angst und dem Gefühl verbunden, ein mögliches Rezidiv nicht bewältigen zu können. Die Prioritäten in meinem Leben haben sich verschoben. Nichts, das nicht mit meiner Gesundheit zu tun hat, kann mich aufregen. Ich bin egozentrisch, gleichmütig , tolerant und grosszügig geworden. Und dann das unbeschreibliche Glücksgefühl, wenn wieder eine Untersuchung gut ausgegangen ist.
Hoffentlich wird morgen so ein Glückstag sein!
© Kara 2020-09-15