Meine Bewerbung als Parlamentspoetin

Margit Thürauf

von Margit Thürauf

Story

Ich muss zugeben: Als ich das erste Mal etwas von Parlamentspoeten gehört habe, schaute ich auch ungläubig. Aber ja: Poesie kann eine andere Art Weltsicht in einen Raum bringen. Freilich eine, die von Intellektuellen nicht ernst genommen werden würde, genauso wenig wie ein Gebet oder wie die Wirkung klassischer Musik auf Gemüter. Bei Kühen im Stall mag Mozart funktionieren, bei Parlamentariern täte sich nichts. Jedenfalls nicht, solange sie sich im Plenarsaal befinden. Abends in der Oper ist das möglicherweise ganz anders. 

Ich erinnere mich an Amanda Gorman, die 22-jährige farbige Amerikanerin, die im Jahr 2021 zur Amtseinführung des Präsidenten Joe Biden ein Gedicht vortrug, das um die Welt ging: The Hill we Climb. „Ja und? Was hat uns das gebracht?“, höre ich die Welt fragen. 

Das, was Musik, Poesie und Kunst immer bringen können: Erinnerung an Werte, an das Wesentliche im Leben und an die kreative Gestaltungskraft in Menschen, in jedem Menschen. Poesie setzt die Menschen wieder auf den Pott.

Sie meinen „Alles zu seiner Zeit“? Volksvertreter sind gebildete Menschen. Hören in ihrem Leben möglicherweise mehr klassische Musik als viele andere? Wann genau? Unter der Woche, wenn sie allein in ihrem Appartement in der Landeshauptstadt eine Pizza in den Ofen schieben, dann lesen sie Gedichte? Wie? Volksvertreter sind keine Menschen, die müde werden und nur noch den Fernseher anschalten?

Jetzt mal im Ernst: Glauben Sie nicht, dass die Welt eine andere wäre, wenn jeder Mensch jeden Tag mit einem Gebet, einer Meditation oder klassischer Musik beginnen würde? Statt mit schlimmen Nachrichten aus allen Teilen der Welt? Ich höre wichtige Staatenlenker sagen: „Dafür habe ich überhaupt keinen Kopf frei!“ Nun gut, ich gebe es zu, in diesem Fall plädiere ich auch einmal für Zwangsbeglückung.

Aber keine Sorge: Poesie muss nicht pathetisch sein. Sie darf lustig, humorvoll sein. Reflektieren zieht die Stimmung nicht herunter, es hebt sie und rückt die Prioritäten in ein gutes Gleichgewicht. Poesie kann in kurzen Worten Dinge ausdrücken, um die ansonsten lange herumgeredet wird. Das spart Zeit.

Poesie bei Hofe gab es immer. Auch ein Narr war über Jahrhunderte fester Bestandteil eines Hofstaates, eine politische Institution sozusagen. Ein Hofnarr darf manches sagen, was anderen nicht erlaubt ist. Als poetische Hofnärrin, wie ich mich verstehe, werde ich den Finger in die Wunde legen, ohne jemanden persönlich anzugreifen.

Mein Büchlein „Die poetische Hofnärrin“ verstehe ich als meine Bewerbung für den Posten einer Parlamentspoetin, sollte er einmal ausgeschrieben werden. Es müsste aber schon in näherer Zeit geschehen, denn ich bin bereits um die siebzig. Zu meinen Gehaltsvorstellungen: Sie bewegen sich im Bereich eines Präsidiumsmitglieds des Parlaments. Über eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch würde ich mich freuen.

© Margit Thürauf 2025-01-20

Genres
Humor& Satire