von Verena Brunner
2020 führte zu markanten beruflichen Veränderungen, Positionen wurden gestrichen, meine Freundin erhielt die Kündigung ein halbes Jahr vor mir. Sie trug es mit Würde, sah es so, als wäre es ihre eigene Wahl gewesen. Ich hielt fest, wollte nicht loslassen, es fehlte mir das Vertrauen. Obwohl ein dumpfes Gefühl in mir sagte, es sei nun endlich an der Zeit, meine Träume zu leben.
Die Frage „Was willst du?“ schwebte monatelang wie ein Mahnmal über mir. Eine Liebes-Hass-Beziehung entstand, lange bevor ein mit bloßem Auge nicht zu erkennender Virus die Welt in Angst und Schrecken versetzte. Jedes Mal, wenn mir jemand die Frage nach meinem Willen stellte, entlarvte ich einen weiteren Aspekt meiner Selbstlüge. Verzweiflung machte sich breit. Ich sprach mit Freunden, Therapeuten und Kollegen, immer suchte ich Hilfe im Außen. Nie kam ich auf die Idee, in mir zu forschen. Mit einem Mal waren all die Luftschlösser wie weggeblasen. Kein Bild der Zukunft ergab sich mehr vor meinem inneren Auge. Die Frage blieb.
Ein Interview mit Elizabeth Gilbert ließ mich aufhorchen. Stelle die Frage anders! Was interessiert dich jetzt gerade in diesem Moment?
Ich besorgte mir Sockenwolle und lernte stricken. Mein einziges Interesse galt Socken zu stricken. Ich wusste nicht warum und verbot es mir, weitere Fragen zu stellen. Ich beobachtete mich und machte neue Erfahrungen. Die Freude kam zurück und ich begann wieder zu schreiben. Neue Ideen für Geschichten, Bücher und Romane flogen mir zu, zu Papier kamen jedoch nur Gedichte.
Ich mochte meine Gedichte nicht sonderlich. Ich war verärgert. Ich wollte schreiben, jedoch nichts, woraus ich mir selbst keinen Reim machen konnte. Bis eines Tages Monika mich auf einen Schreibworkshop mit Gerda aufmerksam machte. Der Kurs startet bereits zwei Tage später. Zu kurz, um lange darüber nachzudenken. Meine Neugier siegte. Die Teilnahme war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich gewann Zuversicht und Vertrauen in meine Texte.
Die qualvollen Erinnerungen an die Schulzeit waren vergessen. Auf einmal liebte ich es, mich im Schreiben auszudrücken, erweckte verschiedene Charaktere in meinen Geschichten zum Leben und war entzückt über die Rückmeldungen der Kursteilnehmer. Mit Feuer und Flamme organisierte ich virtuelle Schreibzusammenkünfte mit engen Freunden, die mich in meinem Tun bestärkten. Angst vor dem weißen Blatt Papier habe ich schon lange nicht mehr. Heft und Füllfeder sind nun meine treuen Begleiter. Ich überrasche mich jeden Tag aufs Neue mit dem, was sich ausdrücken möchte. Heute antworte ich, wie bereits im zarten Alter von sieben Jahren, auf die Frage „Was willst du?“ mit:
„Ich will schreiben, ich will ein Buch schreiben“. Diesen Herzenswunsch hatte ich vor lauter Karrierestreben und stressigem Alltag vollkommen in die Ecke geschoben. Jetzt ist die Zeit gekommen, mir meinen Herzenswunsch zu erfüllen, egal wie lange es noch dauert. Ich bin am Weg.
© Verena Brunner 2021-03-29