Obwohl es bereits später Nachmittag war, liefen wir beim Aussteigen im U-Bahnhof am Olympia-Einkaufszentrum gegen eine Hitze-Wand, die dafür sorgte, dass wir simultan aufstöhnten. Lange stehen bleiben konnten wir allerdings nicht, denn hinter uns verließen noch einige Menschen die überfüllte U-Bahn, sodass wir vom Strom mit getrieben wurden.
Während die meisten der Menschen um uns herum den nächsten großen Ausgang ansteuerten, schlenderten wir durch das Bahnhofs-Labyrinth zu einer kleinen, unscheinbaren Rolltreppe, die direkt vor den Haupteingang der Mall führte. Kurz vor der Rolltreppe befand sich eine Tür, durch die man sofort ins Innere des OEZ gelangte, ohne noch einmal raus ins Freie zu müssen. Gerade als ich gegen die schwere Tür drücken und eben diesen Weg einschlagen wollte, hielt mich Matteo auf und zeigte auf die Rolltreppe. „Ich würde gern noch eine rauchen, gehen wir nochmal kurz raus?“ Ich verdrehte die Augen und nickte dann widerwillig. Wie mich die Nikotinsucht meines Freundes manchmal nervte.
Meine Hand in seine gelegt, stellte ich mich hinter ihm auf die fahrende Treppe, als mir ein Mann auffiel, der auf der Treppe abwärts wild gestikulierte und uns panisch irgendetwas zu rief. Ich schüttelte meinen Kopf und sah ihn an, als seine Worte plötzlich wie durch Watte zu mir durchdrangen. „Lauft weg! Los! Lauft weg, da schießt jemand!“ Eine hektische Geste später war er verschwunden und rannte durch den Bahnhof davon. Matteo und ich wechselten einen geschockten Blick, als wir feststellten, dass wir bereits fast an der Erdoberfläche angekommen waren. Die Rolltreppe hinab zulaufen würde uns wertvolle Zeit kosten. Doch was erwartete uns oben? In diesem Moment sah ich zwei Polizisten am oberen Ende der Rolltreppe vorbeilaufen, beiden war die Sorge ins Gesicht geschrieben und jeder von ihnen war schwer bewaffnet. Gelähmt von diesem Anblick rührte ich mich nicht von der Stelle. Ich sah Menschen panisch durcheinanderlaufen, weinen, schreien, doch nichts davon kam wirklich bei mir an. Mittlerweile hatten wir das Ende der Treppe so gut wie erreicht. Matteo drückte mit einer Hand meinen Kopf nach unten und zog mich mit der anderen die Treppe hinauf, um dann über die hinab führende Treppe wieder in den Bahnhof zu gelangen. Als ich auch die Panik in seinem Gesicht sah, wachte ich aus meiner Schockstarre auf und rannte so schnell ich konnte um mein Leben, als plötzlich ein lauter Knall das Bahnhofsgebäude erfüllte. Meine Beine drohten nachzugeben, ich hatte augenblicklich realisiert, dass hier immer noch geschossen wurde. Mit einem verzweifelten Aufschrei stellte ich fest, dass die nächste Bahn erst in fünf Minuten abfahren würde. Matteo und ich versteckten uns in einer unauffälligen Ecke des Gleises und warteten angespannt auf den Zug, der uns aus diesem Alptraum retten würde.
© Karen Anja Junkermann 2022-08-30