Meine Großmutter und die “Wassersupp”

Story

Meine Großmutter, eine Sudetendeutsche aus Nordmähren, war eine sehr gute Köchin. Vor allem ihre Mehlspeisen, aus der böhmischen Tradition stammend, schmeckten großartig. So bin ich aufgewachsen mit Germknödeln und Powidlbuchteln, mit Schmerstrudeln und Marillenknödeln, Mohnnudeln, “gebackenen Mäusen” und Palatschinken.

Für sich selbst hatte sie aber ein ganz spezielles Lieblingsrezept, das nichts mit diesen üppigen Genüssen zu tun hatte und auch nichts mit den fetten Fleischgerichten, die mein Großvater, für den ein Essen ohne Fleisch kein Essen war, bevorzugte.

Meine Großmutter nämlich liebte am meisten ihre “Wassersupp”. Nein – bitte wirklich ohne “e” am Ende, sie sprach es immer ohne “e”!

Die “Wassersupp” war vermutlich ein Rezept aus Kriegszeiten, möglicherweise hat sie es auch selbst erfunden, aber auf jeden Fall war es ein absolutes Arme-Leute-Essen, das fast nichts kostete. Ich glaube, es hat aber nie jemand gefragt, woher sie es hatte, denn wir waren immer alle viel zu sehr damit beschäftigt, uns über den furchtbaren Gestank aufzuregen, den die Zubereitung dieser Suppe überaus nachhaltig im ganzen Haus verbreitete.

Wenn ich mich recht erinnere, wurde die “Wassersupp” so gemacht: In Ringe geschnittene Zwiebeln und mehrere Knoblauchzehen wurden in reichlich Schweineschmalz angebraten, mit Wasser aufgegossen und weichgedünstet, dazu etwas Salz und Petersilie. Dann wurde hartes Brot in ganz dünne Scheiben geschnitten, auf der Herdplatte geröstet und in die Suppe gegeben, damit es durch die Füssigkeit wieder weich wurde.

Auf dieser total farblosen Suppe schwammen riesige Fettaugen, sodass allein der Anblick schon abschreckend war. Wirklich furchtbar aber war der Geruch, denn die Mischung von Schmalz, Zwiebeln und Knoblauch ergab ein derart intensives Aroma, dass das ganze Haus stundenlang stank. Bis in den Garten hinaus konnte man es riechen, und ich bin sicher, dass auch Passanten auf der Straße noch etwas davon abbekommen haben.

Meine Großmutter war die einzige, die diese Suppe aß. Nicht einmal mein Großvater, der wirklich nicht heikel war, mochte sie. Aber meine Großmutter war geradezu süchtig danach. Wir verboten ihr zwar, die “Wassersupp” zu kochen, aber nicht immer half das. Manchmal überkam es sie einfach und sie musste ihr Leibgericht haben. Es kam sogar vor, dass sie es in der Nacht kochte, denn sie war überhaupt eine rechte Nachteule, die sogar Möbel verschob, wenn die anderen schliefen, denn das dauernde Umstellen sämtlicher Möbel war eine andere Leidenschaft von ihr.

Ergab es sich, dass die Aussicht bestand, für einige Stunden allein im Haus zu sein, freute sie sich sehr und plante umgehend die Zubereitung ihrer Suppe, denn die Zutaten dazu hatte sie immer vorrätig. Der Duft war allerdings sehr hartnäckig, und trotz intensiven Lüftens wurde sie jedes Mal des Kochens der “Wassersupp” überführt.

Meine Abneigung gegen Knoblauch führe ich heute noch auf die “Wassersupp” zurück.

© 2021-12-09