Meine Großmutter und zwei Pandemien

Nikolaus Mathoy

von Nikolaus Mathoy

Story

Ich musste 70 Jahre alt werden, bis ich erfuhr, dass nicht nur meine Mutter, sondern auch meine Großmutter Hüttenwirtin auf einer Alpenvereinshütte war. Anfang März 2021 waren in Österreich alle Hotels und AV-Hütten wegen der Coronapandemie geschlossen. Nur die Heidelbergerhütte auf 2300 m oberhalb von Ischgl war geöffnet, da sie 2 km hinter der Schweizer Grenze liegt, aber nur von Ischgl aus erreichbar ist.

Mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Tourengehern und 2 Bergführern verbrachten wir eine schöne Woche mit 5 Touren auf mehrere Dreitausender . Bevor wir hinaufgingen erinnerte ich mich an ein altes Foto über meinen Großvater Josef Mathoy zur Eröffnung der Heidelberger Hütte von 1904.

Ich war ja vorher nie auf dieser Hütte.

Er war ja um die Jahrhundertwende Lehrer in Ischgl im Paznaun, wie das “Paznauntal” richtig bezeichnet wird. Auf diesem Foto entdeckte ich erstmals im Text darunter, dass nicht nur mein Großvater bei der Hütteneröffnung dabei war, sondern auch seine erste und spätere zweite Ehefrau. Nachdem nämlich die erste Frau ,Klara Kurz aus Ischgl 1914 gestorben war, stand mein Großvater mit 4 unmündigen Kindern alleine da.

Wie damals nicht ungewöhnlich, heiratete er dann die Schwester seiner verstorbenen Frau, Hirlanda Kurz.

Sie war auch auf dem alten Foto, da sie zusammen mit ihrem Bruder seit 1900 Hüttenwirtin auf der Heidelberger Hütte war. Meine Mutter hat mir das nie erzählt, obwohl sie selber ja auch 30 Jahre lang Hüttenwirtin am Kölnerhaus, einer Hütte der Sektion Köln des deutschen Alpenvereins war. Ich habe das Foto gerahmt und dem Hüttenwirt mitgebracht. Es hängt nun in der Stube der Heidelberger Hütte.

Diese Tourenwoche auf der Heidelberger Hütte war nicht ganz unumstritten, denn es war ja die einzige Hütte in Österreich, welche während des lock down geöffnet hatte. Alle anderen Hotels waren zu und bei der “Einreise” von der Schweiz musste man in Quarantäne, obwohl man praktisch Österreich nicht wirklich verlassen hatte. Daher passierte es schon, dass am Ende der Abfahrt in Ischgl die Polizei wartete und die Personalien feststellte. Auch gab es Vorwürfe von anderen Tourengehern, dass dieses Verhalten angesichts der vielen Coronakranken in der Pandemie unmoralisch sei.

Ich jedenfalls war froh, dass ich diese Woche mitgemacht hatte. Sonst hätte ich nie erfahren, dass meine Großmutter Hirlanda Kurz aus Ischgl dort einmal Hüttenwirtin war.

Ischgl hat ja in dieser Pandemie eine gewisse Rolle gespielt, da im Winter 2020 von diesem Ort aus sehr viele Infektionen in ganz Europa ausgingen. Und nun ist in diesem Zusammenhang für mich interessant, dass meine Großmutter bei der vorherigen großen Pandemie, nämlich der spanischen Grippe im Jahr 1918 an dieser Grippe gestorben ist.

© Nikolaus Mathoy 2021-03-08