Meine langjÀhrige Sucht

Bernhard Neubacher

von Bernhard Neubacher

Story

SĂŒchtig kann man nach vielem sein. Alkohol, GlĂŒcksspiel und Drogen gehören wohl zu den bekanntesten und weitverbreitetsten SĂŒchten. Mich hat eine ganz andere Sucht erwischt, nĂ€mlich die Computer(spiele)sucht und auch wenn ich nicht weiß (und nicht wissen will) wie es sich anfĂŒhlt, wenn man DrogensĂŒchtig ist, so glaube ich zumindest einen recht guten Einblick in Suchtverhalten erhascht zu haben.

Um das Kind beim Namen zu nennen: Ich war sĂŒchtig nach World of Warcraft, das wohl bekannteste, erfolgreichste und auch berĂŒchtigtste Online-Spiel. Es hat/hatte den Ruf Spieler recht schnell um den Finger zu wickeln und bei der Stange zu halten. Eine riesengroße Fantasy-Welt, unzĂ€hlige andere Spieler mit denen man sich zusammenschließt um gemeinsam die bestmögliche AusrĂŒstung fĂŒr die eigene Spielfigur zu ergattern. Es ist ein bisschen wie ein Mannschaftssport – man trifft sich mehrfach in der Woche und arbeitet am gemeinsamen Ziel, die schwierigsten Bosse zu besiegen.

Im Gegensatz zu einem 0815 Spiel ist man mit World of Warcraft nie fertig. Es gibt immer etwas zu tun, wenn man es möchte. Das Spiel wird auch immer wieder erweitert, sodass man in gewisser Maßen immer wieder bei 0 anfĂ€ngt.

2008 habe ich mit dem Spiel angefangen und wĂ€hrend anfangs alles noch normale Ausmaße hatte, Ă€nderte sich das im Laufe der Zeit – extrem. Ich wollte immer mehr – mehr Erfolge, mehr Charaktere, mehr seltene Titel, mehr seltene Reittiere, bessere Gilden, bessere AusrĂŒstung
 und so zog mich die AbwĂ€rtsspirale hinab.

Wenn ich nicht an meinem Computer saß dachte ich an das Spiel und ĂŒberlegte mir Taktiken und Aufstellungen meiner Gruppe um einen schwierigen Boss endlich in den Dreck zu schicken, ich sagte Einladungen von Freunden ab und erfand billigste Ausreden, weil ich an dem Tag mit meiner Gruppe spielen wollte. Das echte Leben mitsamt allen Verpflichtungen und Facetten rĂŒckte in den Hintergrund.

Wenn ich die Spielzeit all meiner Charaktere zusammenrechne, komme ich bestimmt auf ungefĂ€hr 450 Tage. 450 Tage meines Lebens, die ich fĂŒr diverse andere, SINNVOLLE Dinge im echten Leben verwenden hĂ€tte können.

Vor kurzem fragte ich eine Bekannte ob sie mit dem Wissen von heute, die Zeit die sie in WoW verbracht hat anders nutzen wĂŒrde, oder ob sie es wieder tun wĂŒrde. Sie wĂŒrde sich wieder fĂŒrs Spiel entscheiden.

Puh. Schwierige Entscheidung.

In meinen 450 Tagen in der World of Warcraft habe ich vieles erlebt, viele Menschen daraus auch im echten Leben getroffen, ich gehörte zu den besten Spielern meiner Klasse und erinnere mich auch gern an die “guten, alten Zeiten” des Spiels zurĂŒck. Wenn ich zurĂŒckspulen könnte, wĂŒrde ich mich nicht nochmal fĂŒrs Spiel entscheiden. Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Und das ist gut so.

Mein Charakter ist in der Zeit eingefroren. Warcraft geht um ihn herum weiter. Warcraft endet nicht.

Es war höchste Zeit mich in der echten Welt aus dem Eis zu holen und dafĂŒr zu sorgen, dass ich hier meine Lebenszeit verbringe. Im Jetzt.

© Bernhard Neubacher 2022-04-05

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