Was geschieht mit dem Jung‘, dessen Vater verschwunden und Mutter verstorben ist? Warum schlug ihn das Schicksal in derartiger Strenge? Die Erklärung hierfür liegt auf der Hand: Weil ich derjenige bin, der über sein Dasein entscheidet. Wie ich bereits im ersten Kapitel erläutert habe, spielt die Geschichte nicht in einem verwunschenen Wald, in dem Fabelwesen vor sich hin vegetieren und Feen kleine Kinder bestäuben, sondern auf den Straßen einer verrottenden Stadt. Der Jung‘ nimmt hierbei die Rolle einer leeren Limo-Dose ein, die jemand rücksichtslos auf den Gehweg geworfen hat und nur darauf wartet, zertreten und dauerhaft verformt zu werden. Glücklicherweise nimmt ihn seine Oma mütterlicherseits auf. Bei ihr handelt es sich um eine demente, gebrechliche Frau, die am Rand des finanziellen Ruins steht und deshalb auf das Kindergeld angewiesen ist, zu welchem sie sich dank des Jung‘ Zugriff verschafft. Es wäre gelogen, zu behaupten, er bekäme bei ihr ein anständiges Leben geboten. Das Leben des Jung‘ ist nämlich nicht anständig. Es ist nicht einmal ein Leben. Er existiert lediglich. Frei von Bildung, Reichtum und gutem Benehmen wächst er mit Biegen und Brechen bei seiner Oma auf. Nichts darf er seinen Besitz nennen, bis auf sich selbst. Der Jung‘ wird zu seinem eigenen Herrn. Allerdings verkümmert er zu einem triebgesteuerten Menschen, dessen Seele von Lust und Begierde umschlungen ist, wie diejenige eines jeden Stadtbewohners. Der Unterschied zwischen ihm und den anderen besteht jedoch in der Kontrolle der Triebe. Während erfolgreiche Bankiers ellenlange Pläne entwickelten, um das Staatswesen auszutricksen, schießt der Jung‘ mit willkürlichen Willensakten umher, als stünde er auf einem vernebelten Schlachtfeld, ohne zu wissen, in welcher Himmelsrichtung der Feind steckt. Mit Beginn der Adoleszenz erhält der Jung‘ ein Gespür für den Genuss alkoholhaltiger Getränke. Gerne würde er sich im nächstgelegenen Einkaufsmarkt ein solches Rauschmittel besorgen, wenn nicht alle Läden der Stadt bereits von Straßenbanden und Gangmitgliedern geplündert worden wären. Niemand traut sich, ein Geschäft in seinem Viertel zu eröffnen, geschweige denn aufrechtzuerhalten, ohne dass Fenster eingeschlagen und Regale verwüstet werden. Deshalb durchsucht der Jung‘ regelmäßig die Mülltonnen von Arztpraxen, in der Hoffnung, ein Fläschchen ethanolhaltigen Desinfektionsmittels zu finden, in dem noch einige Resttropfen der Flüssigkeit vorhanden sind. An einem Abend seiner Suchaktionen spaziert der Jung‘ an einer Bar vorbei, die ihm unbekannt vorkommt. Neugierig steckt der den Kopf zur Tür herein. Niemand anwesend, bis auf der Barkeeper. Selbstbewusst nimmt er auf einem Hocker an der Theke Platz, in der Erwartung, dass der Mut seine Minderjährigkeit verschleiert. Dem Barkeeper scheint der Jung‘ zumindest egal zu sein. Er putzt Gläser, statt seinen Gast zu umsorgen, trotz dessen, dass eigentlich sämtliche Gläser sauber sein müssten, da keine weiteren Kunden in der Bar sitzen. Lautstark spricht der Jung‘ den Barkeeper an, um ein Bier zu ordern. Der Barkeeper reagiert nicht. Ein zweites und auch ein drittes Mal brüllt der Jung‘ ihn an. Keine Reaktion. Aus Wut steigt der Jung‘ über den Tisch, damit er sich selbst sein Getränk besorgen kann. Natürlich duldet der Barkeeper dieses Verhalten nicht, packt den Jung‘ am Kragen und wirft ihn zu Boden. Daraufhin nimmt sich der Jung‘ die dumme Freiheit heraus, ein Messer zu zücken und es in den Magen seines Kontrahenten zu rammen. Schnell bereut er seine unumkehrbare Tat.
© Mittag_wie_Frühstück 2024-11-02