Meine liebste Copingstrategie

SophieMolloy

von SophieMolloy

Story

Wenn man im Duden das Wort „Copingstrategie“ eingibt, erhält man folgende Informationen:

Coping, das: Substantiv, Neutrum. Aus dem Englischen von to cope, zurechtkommen (mit). Definition: Bewältigungsstrategie zum Umgang mit einem Problem, z. B. einer Krankheit.

Nun ja, mein gesamtes Leben als eine Krankheit zu bezeichnen wäre etwas sehr zynisch, selbst für mich, aber dennoch bezweifle ich, dass ich ohne meine kleine „Coppingstrategie“ morgens überhaupt aus dem Bett käme. Was? Nein, keine Sorge, ich rede nicht von Drogen, die sich manch einer in den morgendlichen Kaffee kippen mag, und auch nicht von Zigaretten oder Antidepressiva oder was immer einen sonst davon abhalten könnte, den Wecker mit einem befreienden Kraaaach!! gegen die Wand fliegen zu lassen, wenn das impertinente Teil um halb sieben sein schrilles Geklingel ertönen lässt. Nein, ich rede natürlich von Büchern und Figuren, ganz bestimmten Figuren, aus ganz bestimmten Büchern, und all dem, was mein Kopf aus diesen Erzählungen gemacht hat, seit ich vor ziemlich genau drei Jahren über den ersten Band dieser verflixten Reihe gestolpert bin.

Es ist mir egal, wenn ich in einer sterbenslangweiligen Vorlesung festsitze oder auf drei Kilometern Autobahn an der vierten Baustelle in Folge im Stau feststecke, beachtet mich nicht, ich bin gar nicht wirklich da. In meinem Kopf bin ich ganz woanders. Da geh ich gerade neben einem rothaarigen Jungen durch das Venedig der Renaissance oder mit zwei Monstern durch das New Orleans des achtzehnten Jahrhunderts. Warum auch nicht, über die Macken meiner Lieblingsfiguren nachzudenken, ist doch wesentlich angenehmer, als mich mit meinen Eigenen zu befassen.Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wie Menschen, die nicht auf diese Art der Realitätsflucht zurückgreifen, mit ihren Problemen umgehen. Gibt´s die überhaupt?

Mir hat diese Buchreihe, so verstörend sie manche Kritiker auch finden mögen, in den letzten Jahren wahnsinnig geholfen. Vielleicht, weil ich mich so gut mit meinem Lieblingscharakter identifizieren kann und mich dadurch weniger allein fühle oder vielleicht auch nur, weil sie mir einen Ausweg aus der Realität gibt, wenn diese mich gerade überfordert oder mir schlichtweg auf den Zeiger geht. Ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke, wie viel Macht diese Geschichten seit Jahren über meine Gedankenwelt haben, aber trotzdem kann ich nicht sagen, dass es mir leidtut. Sonst wäre ich heute bestimmt wesentlich engstirniger. Und ich würde immer noch denken, dass man nur auf ein Geschlecht stehen kann, was doch sehr schade für mich wäre.

Alles in allem sollte ich mich wohl bei Anne Rice bedanken, für das, was sie da 1975 mit ihrem Interview mit einem Vampirlosgetreten hat. Oder vielleicht gilt mein Dank eher Lestat, Louis und vor allem Armand, dafür, dass ich ihretwegen die Macht der Worte und der Fantasie nie wieder unterschätzen werde.

© SophieMolloy 2021-11-21

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