von Nicola Rapp
Da sind sie wieder. Die ersten Sonnenstrahlen ganz links im Eck von dir. Langsam schafft es die Sonne und erreicht dich nach der langen Winterpause – auf meinem Balkon, meiner kleinen Oase im 6. Stock, die Vögel zwitschern in der Früh und bald bekommen die Bäume im Innenhof wieder ein grünes Farbenkleid. Noch sitze ich fest eingepackt mit Jacke und Decke da und strecke das Gesicht hoffnungsvoll Richtung Sonne. Was für ein Jahr! Erinnerungen an ungefähr die gleiche Szene vor einem Jahr flammen hoch. März 2020 – wer könnte den je vergessen? Nach einer Ausbildungswoche ab dem 9.3 ging es dann rasant in den ersten Lockdown. Theater abgesagt, dafür rasch noch Klopapier kaufen und Lebensmittel – wer weiß, was uns noch bevorsteht? Nein, das wussten wir in der Tat alle nicht. Aber du, lieber Balkon, warst in dieser unsicheren Zeit immer für mich da. Du warst für mich (als relativ frisch geschiedener Single) in diesen ersten Wochen der Totalisolation mein Fels in der Brandung. Du gabst mir Zeit, um bei diesen unglaublichen Geschehnissen wieder irgendwo Boden unter den Füßen zu gewinnen. Eine Nische Geborgenheit, ein kleines Stück Sicherheit. Auf dir konnte ich in der Sonne meinen Kaffee trinken, immer wieder ein paar Minuten genießen, während in der Küche am PC Distance Learning rannte. Bei dir draußen konnte ich Luft schnappen und zumindest ein paar Meter auf und ab „wandern“. Was für ein prachtvolles Wetter dann war, wie ein Geschenk für uns alle in dieser apokalyptisch anmutenden Zeit. Wie oft bin ich auf dir gestanden und hab in den strahlend blauen Himmel geschaut. Irgendwann hab ich auch begonnen auf dir zu tanzen, Lieblingslieder abgespielt und einfach zur Musik getanzt und gesungen. Ein Stück erlaubter Lebensfreude. Einige Träume und Pläne, die ich sehr motiviert nach meiner Scheidung begonnen hatte zu leben – lösten sich in der ein oder anderen vorbeiziehenden Wolke in Luft auf. Unternehmungen und Zusammensein mit Freunden und Familie, Sehnsucht nach Gemeinsamkeit statt Einsamkeit. Nicht zuletzt den vielleicht schon länger gehegten Wunsch endlich wieder etwas freier leben zu wollen. Freiheit hat wohl in den letzten Monaten eine nie geahnte Dimension erhalten, der Wunsch danach ein Ausmaß erreicht, wie wir es alle niemals für möglich gehalten hätten. Aber zurück zu dir, lieber Balkon, ja die äußere Freiheit wird es demnächst nicht werden – so wie es aussieht. Eigentlich wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt für eine innere Einkehr, ein Retreat der anderen Art. Tja, und auf dir, mein lieber Balkon, habe ich auch meinen 46. Geburtstag ganz alleine gefeiert. Ich habe ein paar Fotos aufgestellt, einen Fuß- und Händeabdruck von mir als Kind dazu, ein paar Blumen und eine Flasche Sekt. Wieder strahlte ein blauer Himmel über mir. Ein paar verlorene Träume zogen an mir vorüber. Ich erinnerte mich an den letzten Satz eines Buches, an den ich oft zurückdenken musste und der gerade irgendwie passend schien: „It is a rare sort of happiness…..“.
© Nicola Rapp 2021-03-05