von Marie Doberstein
Ich habe früher mit einem Menschen zusammengelebt. Eine ganz zauberhafte Person. Voller Sonnenlicht und Liebe. Sie hatte sich nicht daran gestört, dass sie in dem Haus eines Geistes gelebt hatte.
Jeden Tag hatte sie mich begrüßt und sich für die Blumen bedankt, die ich ihr hingestellt hatte. Sie hatte mich bei ihrer Arbeit helfen lassen. Ihre Bücher hatten nur so von Talent und Leidenschaft getrotzt. Sie war clever gewesen, war es immer noch. So kreativ, dass ich sie darum beneidete, dass sie in ihrem Kopf leben durfte und ich nicht.
Sie hatte mir den ganzen Tag vorgesungen, mit ihrer Stimme, die dem Gekreische der Krähen glich. Und doch war es eine Sinfonie gewesen. Über zwei Jahre hatte ich jede Facette ihres Seins kennengelernt. Die Ambivalenz in ihrem Charakter. Diese tiefe Traurigkeit, die unter ihrem glänzenden Lächeln verborgen lag. Der eiserne Wille, der sie dazu gezwungen hatte, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
Ich selbst war nie so stark gewesen. Selbst nach meinem Tod nicht. Der Wahnsinn, über dem ich mein ganzes Leben lang balanciert war, hatte mich in seine Tiefe gezerrt. In dem Abgrund der Verrücktheit. Ich wusste nicht einmal, was meine Mission gewesen war, als ich meine Mitbewohnerin umgebracht hatte. Aber als ich gesehen hatte, wie ihre Haut langsam unsichtbar geworden war, war ich in Tränen ausgebrochen. Tränen, die schnell getrocknet waren, als sie mich nach ihrem ersten Augenaufschlag an die Wand katapultiert hatte.
Heute wusste ich, dass es dabei nicht einmal darum ging, dass ich sie getötet hatte. Sie war sauer wegen ihrer Bettwäsche. Noch immer. Nach zwei Jahrzehnten der Zweisamkeit. Sauer auf die schwarze Bettwäsche, auf welcher man das Blut nicht einmal sah. Wir schliefen nicht mal. Nur meine Geliebte war in der Lage so lange nachtragend zu sein. Wegen einer unwichtigen Angelegenheit.
Ich würde niemals vergessen, wie sie sich bei mir bedankt hatte. Für einen Tod. Dafür, dass ich sie aus der Last des Lebens erlöst hatte. Sie war des Lebens leid gewesen. Hier, in der Zwischenwelt, war das Leben nicht ansatzweise so schwer.
Man sah es ihr an. Wenn sie jetzt lächelte, war es ein wahres Lächeln. Wenn sie schrieb, schrieb sie von vollem Herzen. Wenn sie lachte, wollte sie nicht gleichzeitig in Tränen ausbrechen.
Ich beobachtete sie dabei, wie sie summend nach einem Kleid suchte. Sie fand daran gefallen, sich derartig anzuziehen, selbst wenn niemand sie sah. Ein schwarzes Kleid mit Rüschen und Schleifen. Unsere Katze, die uns vor ein paar Jahren zugelaufen war, sprang von meinem Schoß und schlängelte sich auf ihrem Weg nach draußen und die langen Beine meiner Liebsten. Ich wusste nicht, was ich getan hatte, um mit einer solchen Familie gesegnet worden zu sein.
Gut, meine Gefährtin hatte ich umgebracht und mir selbst geholfen.
„Guck mich nicht so an, sonst denke ich noch, dass du auch dieses Kleid mit Blut beschmutzen willst.“, scherzte sie, während sie ihre Ohrringe anzog. „Du musst wirklich darüber hinwegkommen, Liebling.“ Sie streckte mir die Zunge raus. „In hundert Jahren vielleicht.“
© Marie Doberstein 2023-08-07