von Gunny Catell
Als ich Hermes Phettberg zu meiner ersten Lesung einlud, kam er tatsächlich. Auf der Bühne vor dem Lesetisch war ein schönes Blumengesteck und ein Foto meines ersten Buches „Rise Like A Faerie“ platziert.
Die Lesung hatte schon begonnen, als sich Hermes mit seinem Rollstuhl den Weg durch die Zuhörer bahnte, begleitet von seiner treuen Eze. Ich fühlte mich sogleich durch seine Anwesenheit geadelt. Sehen konnte er ja nicht viel und gar nichts mehr lesen, aber seine Ohren waren so wach und frisch wie wohl keine anderen Organe in Wien. In sich versunken lauschte er meinen leidenschaftlichen Leseergüssen, genauso, als sehe er dabei zu, wie sich ein in orgiastischen Windungen verrenkender Körper gerade vor ihm hingab. Er visualisierte sich wohl gerade in seinen sehnlichsten Traum, so als würde er im Hochamt dem Leib Christi in hautengen Jeans gerade zu Füßen liegen. Das spiegelte sich in seinem verklärten, ernsten, aber wissenden Gesichtsausdruck wider – den Blick zu Boden gesenkt.
Seine Freude über das Gehörte machte sich dar ob Luft, dass er immer wieder zustimmend nickte, oder den Finger gen Himmel hob, mit schelmischem, aber unschuldigem Grinsen die Ur-Essenz dessen erfassend, was Ausdruck meines andächtig Gesagten war. Ein hämisches Lächeln entfuhr ihm in den Äther hinaus, irgendwohin in das Reich des Großartigen, das sich ausbreiten sollte auf dem Altar der legendären Kraftausdrücke, für die er so berüchtigt war, und die immer leicht aus ihm heraussprudelten.
In den Neunzigern erlebte ich ihn noch oft live als unbeschränkter Herr seiner geistigen und körperlichen Kräfte und als originellsten Talkmaster seiner Generation. Als genialer König der Selbstironie und tabubrechender Bonmots, schien keine Fernseh-Ikone vor ihm sicher, nicht durch Witz und Hellsicht geschlachtet zu werden. In seinen Phettberg Papieren unter dem Cafe Prückel entschied der jeweils jüngste anwesende Jeans Boy, was gelesen werden würde. Auch ich durfte einmal mitentscheiden.
Hermes und ich wurden erst später Freunde. Als er einmal zu meiner Geburtstagsfeier mit Rollator auftauchte, wofür ich ihm heute noch dankbar bin, mussten wir ihm mehrere Handtücher unter den Sessel legen, da jederzeit damit zu rechnen war, dass er es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette schaffte. Aber wer konnte ihm je böse sein? Wir lieben ihn so wie er war, ist und hoffentlich noch lange sein wird.
Auch ein anderes Talent kann ihm kein anderer nachmachen: das der unterwürfigen Bezeugung von Dankbarkeit: dankbar etwa für die Einladung, seine spirituelle Seite zeigen zu können, nämlich seine Liebe zur Natur des Menschen, oder wenn ich ihm im Aufzug oder auf den Stiegen die Hilfe anbot, nicht umzufallen. Dann klammerte er sich an meine Hände und küßte sie voll Ehrfurcht.
Keiner ist in der Wiener Szene ein so vorurteilsloser Verfechter seiner Wahrheit. Ich verehre ihn genauso wie der Herr seinen Herrn, der Sklave seinen Sklaven. In orgiastischer Eucharistie! Danke!
© Gunny Catell 2020-12-04