Meine Schülerin

Kamélia Bancsov

von Kamélia Bancsov

Story

Ich war sehr stolz auf Willa, und befürchtete den Verlust dieses Glücks durch Karl oder andere Missstände, welche mein Posten mit sich brachte. Friesland war kein Ort der Seligen, es war nach wie vor die Stätte der heidnischen Kulte und der Abwesenheit des christlichen Lichtes.

Willa war ein kluges Fräulein und wir würden immer viel miteinander diskutieren und die Zeit dabei vergessen. Ich erinnere mich sehr gut an diesen einen Dialog mit ihr. Sie fragte mich, warum die Christen den Gottesvater und nicht die Gottesmutter verehren.

Ich antwortete ihr schmunzelnd: „Eine gute Frage. Ich habe eine Gegenfrage an dich: Was siehst du um dich herum?“

„Jetzt? Also wir sind auf der Wiese und die Sonne scheint.“

„Genau und wie fühlst du dich jetzt?“

„Die Landschaft gibt mir das Gefühl, als wäre ich zu Hause, als bräuchte ich kein Zuhause außer der Natur.“

„Richtig, diese Art der Liebe ist wie die Liebe der Mutter, sie ist immer da, sie empfängt uns, wenn wir traurig sind, tröstet uns jede Zeit, sie ist nie müde, sie gibt und liebt, diese Art der Liebe ist bedingungslos. Aber die Liebe des Vaters ist anders, diese Liebe ist an Bedingungen geknüpft.“

„Verstehe, also Gott liebt uns wie der Vater das eigene Kind liebt.“

„Richtig, wir müssen uns bemühen, um seine Liebe zu bekommen.“

„Aber ist das nicht streng? Sollte der Vater nicht genauso wie die Mutter lieben?“

„Der Vater ist ein Lehrer der Gesetze und Sitten, er lehrt uns vor allem Moral und Vornehmheit.“

Einige Tage später hatte ich für Willas Namenstag ein kleines Gedicht auf einem Pergament angefertigt. Es stand darauf:

„Mein Leben war unsichtbar,

Gott hat mich gesehen.

Mein Leben war einsam,

Gott gab mir Gesellschaft.

Mein Leben war sinnlos,

Gott gab mir eine Aufgabe.“

Der Titel lautete: Gott ist das Gute, Gott ist die Sonne.


© Kamélia Bancsov 2024-08-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Inspirierend, Mysteriös
Hashtags