Ich mochte meine beiden leiblichen Grossmütter auf sehr unterschiedliche Weise. Eine nannten wir Oma. Sie war eine relativ wohlhabende Frau aber seit ich denken konnte voller Weh. Das machte sie verbittert. Und auch wenn sie wirklich versuchte uns liebzuhaben, es gelang ihr nur selten, weil die Mühe dahinter so spürbar war. Sie tat mir schon als sehr kleines Kind immer irgendwie leid, aber ich roch so gern ihr Lavendelhaar, und sie lächelte dazu.
Die andere nannten wir Grossmutter. Eine ganz einfache Frau mit einem Gesicht voller Lachfalten, die Herzenswärme in Person, bis ins hohe Alter voller Lebensfreude. Wie sollte ich sie nicht liebhaben?
Und dann fanden sich im Lauf meine Lebens noch einige GrossmĂĽtter. Es war immer Liebe auf den ersten Blick, wenn mir so eine alte Frau gegenĂĽberstand. So eine wie meine Grossmutter mit wachem Blick und offenen Herzen, da war sofort eine Verbindung da, die immer bis zu ihrem Lebensende andauerte.
Die erste dieser Herzensgrossmütter fand ich in der Steiermark. Einige Sommer hintereinander fuhren wir in den Ferien auf einen Bauernhof in einem kleinen steirischen Dorf. Das Haus war voller Kinder, vier Generationen unter einem Dach. Natürlich hatte ich einige Spielgefährten in der Kinderschar gefunden. Die Bauernkinder waren im Babyalter bis zur Hauptschule, ich war grad so mittendrin, Volksschule, 1. bis 3. Klasse.
Der ganze Kinderhaufen hatte eine gemeinsame Uroma, die Urli. Ich liebte sie auf Anhieb. Wenn wir grad nicht am Spielen waren oder der Tag anders verplant war, setzte ich mich am liebsten zur Urli. Ich richtete ihr das Kopftuch, wenn es beim Butterrühren verrutschte und ihre silbernen Locken herausblitzten. Wenn sie Brotteig knetete sah ich fasziniert auf ihre verkrüppelten Finger, die doch so flink waren. Urli lachte immer, wenn ich bei ihr war. Ihr Gesicht war eine wilde Landschaft, darin zwei wundervolle, lachende blaue Augen voller Wärme und Gutsein. Wenn sie mir übers Haar strich, hielt ich ganz still, ich hatte grosse Ehrfurcht vor ihren rauen Arbeitshänden. Oft redete sie freundlich vor sich hin, ich verstand kein einziges Wort, aber das tat unserer innigen Beziehung keinerlei Abbruch. Es war immer gut mit ihr.
Dann stand sie eines Tages nimmer auf. Ich besuchte sie, ihr Röcheln ängstigte mich. Ich war traurig.
„Die Urli ruaft noch dia!“ sagte die Bäuerin. Nach mir? Ich staunte und ging in Urlis Kammer. Dieses Röcheln. Und so bleich war sie.
„Marietscherl?“ fragte sie, als ich meine Hand auf ihre legte. „Ja.“
War das ein Lächeln? Ich blieb bei ihr sitzen, bis jemand sagte „Die Urli gibts nimmer.“ Meine liebe, steirische Urli tat mit mir ihren letzten Atemzug…
Heute bin ich selbst eine Grossmutter, aber ich bezweifle, dass aus mir eine richtige Urli wird. Dazu fehlt mir leider dieses gewisse Urli-Etwas…
© rebella-maria-biebel 2019-07-30