Meine Verschwörungstheoretikerin

John_H

von John_H

Story

Im Sommer letzten Jahres war beruflich gesehen eine harte Zeit für mich. Ich arbeite in einem medizinischen Labor und wir hatten wieder einmal akuten Personalnotstand. (Danke übringens, diesen da oben, fürs Niedersparen der Krankenhäuser.) Ich war kurz davor meinen Job zu wechseln. Da kam die Nachricht, dass uns in zwei Monaten, zwei neue Kolleginnen verstärken. Gut, da beißt man halt durch.

Zwei Monate später war es dann soweit. Da war sie dann, meine Verschwörungstheoretikerin. Eine Mitte fünfzig alte Frau, ich nenn sie jetzt mal Marie – Luise. Marie – Luise war Leiterin eines Laboratoriums in Tirol, hat sich dann aber mit ihrem Chef überworfen, außerdem sind ihr die Mitarbeiter in den Rücken gefallen und so kam sie zu uns.

Sie wirkte durchaus sympathisch und engagiert. Guter erster Eindruck.

Bei uns im Labor läuft meistens ein Radio. Ich hatte das Vergnügen Marie Luise auf einem Arbeitsplatz einzulernen. Als die Nachrichten kamen, fiel mir etwas auf. Jede Nachricht wurde von ihr als nichtig bezeichnet. Was uns die Medien vorliegen, ist alles erstunken und erlogen und so weiter und sofort.

Dann kam Corona. Marie – Luise stellte nun die wildesten Theorien auf. „Italien hat die Todeszahlen manipuliert um an EU – Gelder zu gelangen“ – „Der Virus wurde in einem Labor gezüchtet, um die Alten, die wirtschaftlich nicht mehr wertvoll sind, auszulöschen“. „Die Regierungen machen Panik, um von ihren Machenschaften abzulenken“

Verstehen sie mich nicht falsch, man sollte durchaus kritisch sein und alles hinterfragen. Unsere Entscheidungsträger drehen genug krumme Sachen, siehe „Ibiza“ . An diesen Theorien ist auch immer ein Fünkchen Wahrheit. Aber einfach nichts mehr zu glauben. Wir sind ja nicht in Nordkorea. Ich finde, man sollte sich genug Argumente anhören und dann entscheiden, welche Meinung man vertritt.

Ist es denn nicht auch so, dass man mit Verschwörungstheorien unheimlich gut Geld verdienen kann? Für Marie Luise sind alle ihre Theorien war und wissenschaftlich belegt.

Wenn man niemanden mehr vertraut, ist es dann nicht auch unmöglich neue Freundschaften und Partnerschaften einzugehen?! Solchem Verhalten geht meistens eine tiefe Frustration voraus. Marie Luise wurde betrogen, sowohl beruflich als auch privat.

Mittlerweile habe ich ihr auch schon öfters meine Meinung gegeigt. Ich bin aber jetzt der Ansicht, es einfach gut sein zu lassen. Sie soll bei ihren Theorien bleiben, das ist ihr Hobby. Fast schon ihr Lebensinhalt.

Außerdem kann man sie gut damit aufziehen. Einmal kam eine Regenmeldung im Radio fürs Wochenende. Marie Luise darauf: „Nein ich wollte doch im Garten arbeiten und an den See fahren“. Ich entgegnete: „Glaub den Lügenmedien doch nichts, 35 Grad und Sonnenschein – so wirds werden“.

© John_H 2020-04-18

Hashtags