Meine zwei “Omas”

Anatolie

von Anatolie

Story

Ich bin ohne Großeltern aufgewachsen. Diese waren schon lange tot, noch ehe meine Eltern zu Erwachsenen wurden. In der Schulzeit beneidete ich so manche Mädchen um ihre fleißigen Omas, die sich für eine gute Note im Werkunterricht ins Zeug legten und heimlich die windschiefen Schals und Hauben ihrer Enkelinnen zu Ende strickten.

Im Grunde fehlte es mir an nichts, aber mit Taschengeld wurde ich immer recht knapp gehalten. Meine Eltern, die sehr sparsam waren, wollten nicht, dass ich Geld für irgendwelchen Firlefanz ausgab. Noch mit vierzehn musste ich gerade mal mit 25 Schilling in der Woche auskommen. Meine beste Freundin hatte immer ein gut gefülltes Sparschwein und konnte sich Klamotten, Schminkzeug oder sonstigen Krimskrams einfach so kaufen! Klar, sie hatte ja Oma und Opa, die ihr immer wieder etwas zusteckten. Doch abgesehen von großen und kleinen Geschenken habe ich eine eigene Oma immer sehr vermisst. Meine Mutter schuftete von früh bis spät in einer Krankenhausküche und war, wenn sie heimkam, oft zu müde und erschöpft für alles. Mein Vater war bereits in Rente und hatte, als ich klein war, ganz viel Zeit für mich. Aber auch er vermochte nicht ganz diese Lücke zu stopfen und die Oma zu ersetzen, die mich zur Seite nehmen und trösten würde, wenn Mama wieder einmal ungeduldig mit mir war und ich ihr nichts recht machen konnte.

Mein Vater war aktives Mitglied in einem Heimkehrerverein aus dem 2. Weltkrieg. Unter den Frauen seiner Kollegen fanden sich zwei ältere Damen, von mir Oma R. und Oma H. genannt, die mich hin und wieder unter ihre Fittiche nahmen, wenn meine Eltern einen Kindersitter brauchten. So hatte ich eigentlich doch zwei Omas, aber eben nur „geliehen“.

Oma H. besaß ein großes Haus mit Garten und einen Hund, der Rexi hieß. Zusammen mit ihrer Enkelin Claudia spielte ich in ihrem Hof Verstecken, wir hatten auch viel Spaß dabei, dort herumzutollen. Ich erinnere mich, dass wir einmal wettgeeifert haben, wer mehr von Rexis „Hinterlassenschaften“ zählen würde. Wenn es draußen regnete, waren im Wohnschlafzimmer Doktorspiele angesagt. Alles sehr harmlos natürlich, wie Kinder nun mal sind. Nur einmal hatten wir aus Jux unseren Po dabei entblößt. Gerade da kam Oma H. herein, beladen mit Keksen und Kakao und sah meine heruntergezogene Hose. Sie lieferte uns eine Standpauke, die sich gewaschen hatte!

Die andere Oma, Frau R., war eine Seele von Mensch. Einmal nahm sie mich für eine ganze Woche bei sich auf, als ich gerade vor dem Start in den Skiurlaub die Schafblattern bekam. Ich war Mama und Papa auch nicht böse, weil sie ohne mich zum Schifahren gingen, denn ich fühlte mich bei Oma R. gut aufgehoben. Sie kochte mir jeden Tag eine Lieblingsspeise und schaute sich mit mir alle Kindersendungen an. Im Herbst bastelten wir zusammen Kastanienkühe, im Frühjahr Kaninchen aus Palmkätzchen. Nachmittags nahm sie mich in ihren Heimgarten mit. Ich glaube, ich war als „ihr Mädchen“ für sie etwas Besonderes, weil sie selbst nur Söhne und Enkelsöhne hatte.

Liebe Oma R.! Es tut mir so leid, dass ich dich nachher, als ich größer war, nie mehr besucht habe! Mir ist erst zu spät klar geworden was für eine tolle Oma du mir warst.

© Anatolie 2021-03-15

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