von Luisa Horn
Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Hierbei ist es egal um was es sich bei dem Betrachteten handelt. Sei es Kunst, Architektur, Flora und Fauna oder andere Menschen. Für mich persönlich ist das Schönste sein Lächeln. Egal ob es ein freches Grinsen, ein zufriedenes Schmunzeln oder ein herzhaftes Lachen ist. Oft ertappe ich mich dabei wie ich ihn einfach zufrieden beobachte, so wie an diesem Abend. Wir sitzen gemütlich auf seinem Bett. Ich schmökere in einem Buch, während er leise vor sich hin grübelt.
Schon bevor wir zusammen gekommen sind, hat er mit der Meisterschule begonnen. Abendschule und lernen nach der Arbeit und dann noch eine neue Freundin, die Aufmerksamkeit fordert. Immer wieder schweift mein Blick zu ihm, der in Gedanken versunken auf sein Laptop starrt. Störe ich ihn nicht? Belaste ich ihn oder lenke ich ihn zu sehr ab? Ein tiefes Seufzen reißt mich aus meinem Negativismus. Er stellt den Laptop beiseite und lässt sich auf mich fallen. Zum Glück reagiere ich vorher noch schnell genug, um das Buch wegzulegen und meine Beine auszustrecken, bevor er sich meine Knie in den Bauch rammt. Er schmiegt sein Gesicht an mich. Ich lasse meine Finger durch seine Haare gleiten und genieße seinen ruhigen Atem. Für einige Minuten liegen wir nur so da, dann gibt er mir einen Kuss und lernt weiter. Ein Lächeln huscht über meine Lippen. Diese Momente des „Energietanken“ kommen während der Lernphase öfter vor, was mich grundsätzlich nicht stört. Allerdings spüre ich auch seine Belastung und je näher die Prüfungen rücken, umso ruhiger wird er. Stellenweise sitzt er nur da und starrt vor sich hin. Bricht Sätze mitten im Reden ab. Also was bliebe mir anderes übrig, als ihm alle Kraft zu schenken, die ich geben kann. Von Elektrik habe ich nicht genug, eigentlich gar keine, Ahnung, aber trotzdem frage ich ihn interessiert, was er gerade lernt. Geduldig erklärt er mir seinen Lernstoff und ich habe die Hoffnung ihm damit zu helfen. Durch die Pandemie und die Lockdowns zieht sich seine Schule länger als angedacht. Trotz dessen bleibt er motiviert und pflichtbewusst. In der ersten Dezemberwoche 2020 steht seine Prüfungswoche an. 5 Tage weg von Zuhause, nur für die Theorie. Aus der Ferne versuche ich ihn zu unterstützen. Wir alle denken an ihn.
Wie erwartet besteht er den theoretischen Teil locker und am 01. Oktober 2021 bleibt nur noch der Praxisteil. Aufgrund eines unzuverlässigen Partners darf ich ihm beistehen. Eine Ehre und Verantwortung, die ich ihm zu liebe nur zu gern trage. Am Abend davor üben wir unseren gemeinsamen Part. Ich bin sein Azubi und er mein Ausbilder. Zuerst mit der Abisolierzange ein Kabel abmanteln, dann mit der Aderendhülsenzange die Endhülse auf den Kupferdrähten fixieren. Fertig! Stolz verlasse ich den Prüfungsraum und warte auf ihn.
Am 08.07.2022 gibt es nur noch eines zu tun: Feiern. Gemeinsam fahren wir zu seiner Meisterfeier, an der er offiziell zum Meister wird. Wieder sitze ich da und beobachte ihn. Sein Lächeln, als er seinen Brief übergeben bekommt. Ein Bild von einem Mann. Für mich das schönste Meisterwerk von allen.
© Luisa Horn 2023-05-04