Memmert – auf dem Weg zur verbotenen Insel

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Auf dem Weg nach Juist liegt auf der linken Seite die “verbotene“ ostfriesische Insel Memmert. Seit fast hundert Jahren eine streng geschützte Vogelkolonie im Nationalpark Wattenmeer, ist sie für seltene Vögel reserviert. Ich durfte sie für kurze Zeit mit einem Experten besuchen.

Sie entstand als Düneneiland, als im Mittelalter zwei Orkanfluten das Land zerstörten und die Küste neu formten. Juist, Borkum und Norderney – einst zusammengehörend – wurden zerrissen, Land ging unter. Nur historische Seefahrtkarten zeigen noch zwei geheimnisvolle Inseln, Bant und Buise, wo heute Wasser und Watt ist. Im 17. Jahrhundert tauchte eine Sandbank auf, wo schon einmal Land war: Memmert. Bleiben die Sandbänke, die sich im Wattenmeer bilden, stabil, können sich Dünen entwickeln, auf denen sich später Vegetation ansiedelt, danach die Tier- und Pflanzenwelt.

Zwei Stunden Schleichfahrt von Juist durch einen Irrgarten aus Sandbänken und Wasserläufen, Schlickflächen und Lagunen bringen mich hin. Frühere Fahrrinnen sind zugesandet, Sandbänke aufgespült. Die Wege müssen jedes Jahr neu erkundet werden, nichts ist morgen so, wie es gestern war. Birkenstämmchen als Pricken markieren das Fahrwasser.

Memmert ist eine fremde Welt. Hier hat der Mensch keinen Einfluss. Der Inselvogt ist der einzige Mensch, der das Eiland zeitweise bewohnt. Außer ihm darf niemand die Vogelschutzinsel ohne Genehmigung betreten. Und nur im August, dem Ende der Brutzeit. Damit ist Memmert eine der letzten wirklich wilden Gegenden in Deutschland, und sie driftet mit allem, was darauf lebt: Tausende von Vögeln – darunter extrem seltene – Gebüsch, Bäume und Gras. Von Vogelschutz war früher keine Rede. Ende des 19. Jahrhunderts räumten Eiersammler regelmäßig die Gelege von Seeschwalben und Silbermöwen aus. Die Bewohner von Juist – später die Kurgäste – gingen hier zur Vogeljagd.

Naturschützer beklagten die Zustände, pachteten 1907 die Insel und errichteten eine Wärterhütte. Seit 1921 wird sie vom Frühjahr bis Herbst von einem Vogelwart bewohnt. 1924 wurde sie staatliches Naturschutzgebiet, seit 1986 gehört sie zur Schutzzone 1 im Nationalpark “Niedersächsisches Wattenmeer“.

In der Nordsee – 250 m weiter im Meer – steht ein Bauwerk auf Pfählen: das Haus einer früheren Wärterfamilie, die bis 1970 hier wohnte, damals mitten in den Dünen. Das Haus des ersten Wärters liegt noch weiter westlich im Meer. Das aktuelle Wärterhaus steht nun auf den Dünen. Denn die Insel wandert nach Osten: Was im Westen abgetragen wird, lagert sich im Osten wieder an.

“Memmert ist als Rastplatz für Zugvögel wichtig“, belehrt mich der Inselvogt, „viele Vogelarten brüten hier, ziehen ihre Küken auf – auch seltene, wie die Sumpfohreule. Brandgänse bauen in Kaninchenhöhlen, und selbst Löffler, haben hier ihre Heimat.“

Dass der Inselvogt schon mehrfach verheiratet war, erwähnt er nur beiläufig: Seine früheren Frauen hätten auf dieser Insel immer einen Schuhladen vermisst.

© Heinz-Dieter Brandt 2020-09-09

Hashtags