Mennonite Country (2) (Canadian Adventures)

RheaWinter

von RheaWinter

Story

Mittlerweile sind wir dem Farmers Market recht nahe gekommen, denn ich höre bereits das Klappern von Kisten und das aufgeregte Plappern von Kindern. Unbewusst beschleunige ich meine Schritte, denn vor meinem inneren Auge tauchen bereits leckerer Bienenstich und selbst gebackenes Brot auf. 

Endlich sehe ich die rot bemalten Verkaufshallen des Marktes und die zahlreichen Stände, die auf der Wiese vor den Hallen aufgebaut sind. Der Geruch von Bratwurst und Churros erinnert mich daran, dass ich viel zu lange nichts mehr gegessen habe und mein Magen knurrt auffordernd. Tatsächlich komme ich nicht weit, da ich salzig-mehlige Brezeln rieche, die mich an die Volksfeste zu Hause erinnern. Wie eine Marionette werde ich von unsichtbaren Fäden zum Brezelstand gezogen, an dem zwei junge Frauen arbeiten. Beide tragen schlichte, rosane Kleider sowie weiße Hauben und formen die Brezeln so schwungvoll, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. 

Nachdem ich meinen fordernden Magen besänftigt habe, sehe ich mich um. Auch viele andere Stände werden von Old Order Mennoniten betrieben, die hier Lebensmittel, gehäkelte Decken mit Motiven aus ihrem Leben auf den Farmen und sogar Ausflüge in ihren Pferdekarren anbieten. Gemütlich schlendere ich durch die Markthallen und beim Anblick der Auslagen mit deutschen Backwaren läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Bayerischer Apfelkuchen, Schwarzwälder-Kirschtorte und Bienenstich lachen mir entgegen, weshalb ich mir über die Lippen schlecke. Wenn man den matschigen Toast der Nordamerikaner kennt und in Toronto regelmäßig auf der Suche nach Schwarzbrot verzweifelt, ist der Farmers Market der Himmel auf Erden. 

Da ich mich nicht entscheiden kann, nehme ich von jeder der drei Leckereien ein Stück und bahne mir an Ständen mit Kleidung und Cowboystiefeln, Schmuck und Dekoartikeln mit der Ahornflagge meinen Weg nach draußen. Am Wochenende ist der Farmers Market so gut besucht, dass man sich durch die vollen Hallen quetschen muss wie durch den Eingangsbereich des Rogers Centres bei einem Spiel der Toronto Blue Jays. Auch draußen brummt das Leben. Das Landidyll wird nur von Ständen mit Ramschartikeln wie Geldbeutel aus Kunstleder oder Baseballcaps für Touristen gestört. Und natürlich trifft man auf dem Markt nicht nur Old Order Mennoniten, sondern auch solche, die Moderne und Tradition vermischen. So tragen manche Frauen moderne Regenjacken über Kleidern im Stil des 19. Jahrhunderts, Mädchen laufen mit schicken, pinken Brillen durch die Menge und einige Familien in traditioneller Kleidung tragen ihre Einkäufe zu Autos anstatt zu Pferdekarren.

In strahlendem Sonnenschein suche ich mir ein ruhiges Plätzchen und genieße die mennonitische Backkunst. Da diese Glaubensgruppe ursprünglich in der Schweiz, den Niederlanden und Norddeutschland gelebt hatte, von wo aus sie vertrieben wurde, hat sie sich einige Bräuche aus ihrer alten Heimat nach Kanada mitgebracht und an ihre Nachfahren weitergegeben. Ein Glück, denn sonst säße ich jetzt ohne Bienenstich auf der anderen Seite des großen Teiches. 

© RheaWinter 2024-10-11

Genres
Reise