von Bernhard Sumser
»Mein Name ist Schima. Ich stamme nicht von hier«, erklärte ich.
»Deshalb haben Sie den Buchstapel umgestoßen?«, fragte der Händler, sichtlich verärgert.
Ich bin eine Werkatze – ein Schattenwesen, das sich in einen Menschen oder eine Katzenart verwandeln kann. Dieses Geheimnis musste ich streng hüten. Leider konnte ich meine wahre Natur nur schwer verbergen.
»Tut mir leid, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist«, entschuldigte ich mich und stieß einen weiteren Stapel um.
»Unverschämtheit!«, tobte der stämmige Mann mittleren Alters. »Verlassen Sie sofort meinen Laden!«
Betrübt verließ ich den Gemischtwarenladen. Ich war erst frühmorgens in Freudenstadt angekommen und verspürte großen Hunger. Unzählige Gerüche drangen in meine Nase und verrieten mir, dass ich am richtigen Ort war. Am Markt schlenderte ich an vielen Ständen vorbei. Einer erregte schnell meine Aufmerksamkeit.
»Das müssen Sie aber bezahlen!«, erklärte ein Verkäufer, dessen Bauch von einer Plastikschürze umspannt war.
Er schwenkte zornig das Filetiermesser umher. Wasser lief ihm über den Oberarm unter sein aufgekrempeltes, gelboranges Hemd. Mit großen, unschuldigen Augen lächelte ich ihn an, während die gefangene Forelle mir aus dem Mund hing.
»Ekelhaft! Verschwinden Sie!«, scheuchte er mich weg und kümmerte sich wieder um die offene Fischtheke.
Ich wandelte in menschlicher Gestalt durch die Stadt. Doch das war nicht der Grund für die ablehnenden Blicke der anderen. In einem Schaufenster betrachtete ich meine ungewöhnlichen Augen: auf der linken Seite blau, auf der rechten grün – eine Seltenheit, die man Heterochromie nennt. Meine Haarfarbe war ein Mix aus braunen und schwarzen Strähnen. Sonst trug ich eine türkise Hose und ein weißes Oberteil. Verwandelt ähnelte mein Aussehen dem einer Chimäre-Katze, doch als Werkatze war ich um ein Vielfaches größer und stärker. In meiner menschlichen Gestalt konnten mich andere Schattenwesen nicht wittern, doch ich erkannte sie sofort. So erblickte ich ein ungewöhnliches Paar, das vor einer Bar saß, die Spenderblut Pub hieß. Für Vampire war es ungewöhnlich, eine Partnerschaft mit jemandem einzugehen, der nicht ihrer Spezies entstammte.
»Eine Vampirin und ein Mensch?«, murmelte ich und pirschte mich näher heran, um ihnen zu lauschen:
»Tatiana, dieser Bloody Mary schmeckt grauslich«, äußerte der rothaarige Mann und verzog das Gesicht.
Die schwarzhaarige Vampirin in einem ebenso farbigen Kleid lachte. Wusste er nicht, dass er Blut getrunken hatte?
© Bernhard Sumser 2024-05-19