von Frank Naujok
Ich wurde vorgewarnt. Ich wollte es nicht glauben. Ich bin auch selbst schuld. Ich war halbherzig. Ich hätte schneller und intensiver aktiv werden sollen, damit ich Merlina wieder loswerde. Als ich sie einfing, dachte ich, das wäre eine Aktion von wenigen Stunden, vielleicht von einem Tag. Jetzt wohnt sie schon seit drei Wochen bei mir. Wobei ich mehr und mehr das Gefühl bekomme, dass ich eigentlich bei ihr wohne.
Ich suche im Moment keine Beziehung. Ich liebe die Liebe und liebe die Frauen, aber Beziehung liebe ich gerade nicht. Sie würde mich einschränken und meinen Plänen im Weg stehen. Ich möchte gerade nicht um ein anderes Herz kreisen, ich bin vollauf damit zufrieden, mich endlich selbst zu lieben. Aber es wäre eine Lüge, wenn ich es leugnen würde, dass Merlina und ich inzwischen eine Beziehung haben.
Sie stellt Ansprüche, definiert Regeln, überschreitet meine Grenzen, ignoriert meine Wünsche, besteht auf ihre Bedürfnisse, hat Forderungen an mich und ihre eigenen Vorstellungen, wie es zwischen uns zu laufen hat – es ist alles da, was eine Beziehung ausmacht. Fatalerweise wirklich alles. Ich gestehe es ja ein. Inzwischen liebe ich die kleine Dame, wenn sie für meinen Geschmack auch etwas sehr haarig ist.
Manchmal könnte ich sie. Mit Knoblauch. An den richtigen Stellen schön gespickt und mit Zeit im Ofen geschmort. Ich habe wenig Besitz, der mir etwas bedeutet. Soll sie eben an Büchern nagen. Aber seit zwei Tagen ist sie stur hinter meinem Lederpuff und meinem Rucksack her. Den Puff liebe ich, den Rucksack brauche ich. Aber Merlina bleibt da renitent und konflikresistent. Ich kann mich ja ärgern, sie stört das nicht.
Hat sie Lust auf Liebe, wird sie inzwischen rücksichtlos aufdringlich. Sie legt sich vor mich und ich muss dann den Hasenbautunnel abstreicheln. Vom Kopf über die Ohren bis zum Rücken und wieder von vorne und bitte schön noch einmal. Höre ich damit auf, will sie am Lederpuff knabbern. Eine berechnende Masche, das durchschaue ich schon. Nur hilft mir das nichts. Ich muss weiter streicheln.
Jetzt will ich eine zweite Anzeige auf Ebay schalten. Ein Hase für einen Euro. Verschenken darf ich ja nicht. Das mache ich gleich. Später. Vielleicht besser erst nach Pfingsten. Über Pfingsten wollen vielleicht zu viele Kurzentschlossene oder Unbedachte auf die Schnelle ein einfaches Haustier.
Aber Merlina ist nicht einfach. Das ist eine eingebildete hochnäsige sture manipulative Zicke. Ich will sie schon gut aufgehoben wissen. Keinesfalls soll sie in die falschen Hände geraten. Ich warte noch bis Dienstag, bevor ich die Suche nach einem Hasenfamilie für Merlina weiter vorantreibe. Dienstag ist gut.
Und da ist sie schon wieder. Gerade war sie noch auf dem Balkon, aber kaum schreibe ich über unser anstehendes Beziehungsende, schon macht sie wieder einen auf Betthase und wirft sich lasziv vor mich hin. Die doch macht doch Spielchen mit mir!
Ich muss jetzt streicheln. Wegen meinem Lederpuff.
Na toll.
© Frank Naujok 2020-05-29