Methyphobie

Luna Winkler

von Luna Winkler

Story

Gelächter ist zu hören. Stimmen, deren lallenden Tonlagen auf und nieder gehen, wie der Wellengang eines Schiffes. Er selbst, auf dieser Nussschale sitzend, mit nach hinten gebundenen Armen an dem Mast gefesselt – sein Ich von außen sich zusehend, wie sie seinen Körper zwangen, das Glas auszutrinken.

Er schreckt hoch. Schweigebadet. Atmet wenige Male tief ein. Hält die Luft an, bis ihm schwindelig wird und vergewissert sich dadurch, dass es nur ein Traum war. Er erhebt sich, blickt auf die Uhr. 23.36. Er holt sich ein Glas Wasser und kippt es auf Ex runter. In seinem Traum war es mit Vodka gefüllt gewesen.

Allein die Vorstellung lässt ihn erschaudern. Er bleibt noch eine Weile auf der noch feuchten Bettdecke sitzen, bevor er sich hinlegt und nach dem Handy greift. Ihr schreibt. Sofort eine Antwort. Ihr geht es gut, ein paar Freunde sind noch da. Es geht ihr gut. Das versucht er sich in sein Hirn zu prügeln, zermartert von der Angst, das Gegeteil könnte der Fall sein. Es geht ihr gut. Ihm geht es gut. Es war nur ein Traum.

Der Fußballplatz ist noch leer, als er sein Rad an der Ecke abstellt. Bald schon werden die närrischen Fans hier aufkreuzen – wenn seine Mannschaft gewinnt, so werden die Jungs sich sicher einer Schampusdusche unterziehen. Er stellt die Bierkästen bereit. Eigentlich ziert ihn dabei nicht mehr Gänsehaut die Arme. Heute schon. Bestimmt wegen dem Alptraum gestern. Bestimmt, weil er noch die halbe Nacht wachgelegen ist und sich gefragt hat, wie er den heutigen Nachmittag über die Bühne bringen soll.

Er als Trainer ist regelrecht gezwungen mitzufeiern. Eine Strategie, diese Feierwut zu überleben, hat er sich längst zurechtgelegt. Die gleiche, die schon seit Jahrzehnten glückt. So tun, als ob, um es nicht tun zu müssen. Er räupsert sich lautstark und zieht damit ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er winkt ihr zu, lächelt. Sie wechseln ein paar wenige Worte, bevor sie sich wieder den Unterlagen vor sich widmet. Sie hat geweint. Er sieht es ihr an, obwohl sie doch eine kleine Entfernung voneinander trennt. Er weiß es, weil er es kennt. Elfte Klasse ist sie nun. Er war in ihrem Alter, als die Scheiße angefangen hat. Siebzehn. In ihrem Alter geht man feiern. Besäuft man sich, kotzt und trinkt weiter. Er hat keine einzige solcher Nächte miterlebt, bis Mitte zwanzig nicht. Zu groß die Angst. Die Angst vor dem Alkohol. Zu groß die Scham, vor den Kumpels zuzugeben, noch nie ein Bier getrunken zu haben. Einzugestehen, dass ihn der Alkohol anekelt.

Letztes Jahr hat er es gegoogelt. Zu seiner Jugendzeit nicht möglich, heute ein Kinderspiel. Laut Doktor Google eine Methyphobie. Panische Angst vor dem Alkoholkonsum und dessen Folgen. Er vertraut wenig auf das Internet. Aber in diesem Punkt muss er ihm recht geben. Alle Symptome treffen zu. Naja.

Als er die Bälle aus der Kammer holt, ist sie verschwunden. Sie wohnt noch nicht lange hier. Und doch weiß er, wie jemand aussieht, der Angst hat. Er hat es ihr angesehen. Ihre Augen – sie spiegelten sie wider.

© Luna Winkler 2022-05-24

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