von Till Aigner
Nur wenige scheinen eine realistische Vorstellung davon zu haben, was eine Midlife-Crisis tatsĂ€chlich ist oder bedeuten kann. Offensichtlich haben Filme, BĂŒcher und Zeitschriften mit einem ganzen Haufen Klischees ĂŒber den alternden Mann im roten Sportwagen oder auf einer Harley-Davidson – natĂŒrlich in Begleitung einer halb so alten Blondine – ganze Arbeit in den Kopfkinos vieler Menschen geleistet.
NatĂŒrlich zieht sich dieser Mann wie ein Berufsjugendlicher an, trainiert wie besessen im Fitness-Studio seine Muskeln und plant, seinen sicheren Job bei der Bank nach 20 Jahren gegen eine Surfschule auf den Malediven einzutauschen. Auch beim körperlichen und seelischen Zustand von Frauen kurz vor oder wĂ€hrend ihrer Menopause wird in Filmen, BĂŒchern und Kolumnen der guten Unterhaltung zuliebe nicht damit gespart, alle möglichen Klischees wild zusammenzumixen, am liebsten aus Familien-, Ehe- und Sexleben (Fremdgehen mit einem sexy Unbekannten kommt immer gut), Falten- und Cellulite-Panik, Jojo-Effekte, Botoxspritzen, Beauty-OPs und verrĂŒckte MĂ€delsabende. Im Ergebnis sehen wir dann auch hier ein krĂ€ftig ĂŒberzeichnetes Bild der Frau in der Midlife-Crisis.
Kein Wunder also, dass ich auch mal belĂ€chelt werde, wenn ich erzĂ€hle, ich sei in der Midlife-Crisis. Im Prinzip ist es doch das Gleiche, als wĂŒrde ich einen Teenager nicht ernst nehmen, wenn er sagt, er sei in der PubertĂ€t. NĂ€hern wir uns der Midlife-Crisis ein wenig wissenschaftlicher oder faktenbasierter, dann merken wir, dass sie groĂe Ăhnlichkeiten mit der PubertĂ€t aufweist, einer Ăbergangsphase von einem Lebensabschnitt in den nĂ€chsten, also ein wichtiger Entwicklungssprung. EntwicklungssprĂŒnge lassen sich bereits bei SĂ€uglingen beobachten. Oft werden diese begleitet mit Phasen besonderer Unruhe, QuĂ€ngelei und Weinen. Doch am Ende steht dann eine neue FĂ€higkeit. Das Baby kann auf einmal sitzen, krabbeln, ein Wort sagen oder sonst etwas tun, was es vorher nicht konnte.
Die Journalistin Gail Sheehy, schrieb 1974 in ihrem Bestseller âIn der Mitte des Lebens: Die BewĂ€ltigung vorhersehbarer Krisenâ: âBegreift man die Persönlichkeit nicht als Struktur, die nach Abschluss der Kindheit im Wesentlichen vollendet ist, sondern als stĂ€ndig neue Entwicklungsmöglichkeit, dann wird das Leben ab 25 oder 30 oder ab dem mittleren Lebensalter von sich aus Faszination, Ăberraschung und neue Entdeckungen bereithalten.“
Wir sollten unsere Midlife-Crisis nicht mit Klischees ins LĂ€cherliche ziehen, sondern sie annehmen und sie sinnvoll fĂŒr unsere Weiterentwicklung nutzen. Schon Konfuzius, einer der bedeutendsten chinesischen Philosophen (551-479 v. Chr.) gab zu bedenken: âWer meint, in seinem Leben gebe es nichts zu verbessern, ist entweder ein Gott oder ein vollendeter Weiser, oder erkennt sein Potential nicht, das in ihm und seinem Leben steckt. Nur die höchststehenden Weisen und die tiefststehenden Narren sind unverĂ€nderlich.â
© Till Aigner 2023-02-05