Milchhaut und Hühnerkramperl

Lorenz Graf

von Lorenz Graf

Story

Mein Heimatort liegt an der ungarischen Grenze, eingebettet in Felder und Weingärten. In meiner Kindheit gab es nur Landwirtschaft und die klassischen Handwerker wie Tischler, Schlosser, Zimmermann, Hufschmied, Fassbinder. Dann waren da noch mehrere Bäcker, Fleischer, Greißler und Gasthäuser. Das Leben verlief in geordneten Bahnen, geregelt durch die Jahreszeiten, gesteuert durch die kirchlichen Sonn- und Feiertage und den religiösen Zeiten wie Advent oder Fastenzeit. Der Pfarrer war der Dirigent und die unangefochtene Autorität. Ein Beispiel: Lag jemand im Sterben, wurde der Pfarrer zum „Versehen“ (Letzte Ölung) gerufen. Wenn er da durch das Dorf ging, läutete ein Ministrant mit einer kleinen aber lauten Glocke. Alle, die ihm begegneten, mussten sich niederknien, auch auf die regennasse, schlammige Erde. Pflaster oder Asphalt gab es ja nicht.

Es gab kaum Autos im Dorf, nur Fahrräder und Pferdefuhrwerke. Als Kinder suchten wir Hufeisen, die Pferde auf den weiten Feldwegen verloren hatten und verdienten damit etwas Geld. Fernseher und Kühlschränke waren unbekannt. Unvergesslich ist für mich ein Satz meines Vaters: „Jetzt soll ein Radio geben, wo man den Sprecher sehen kann“. In den Häusern gab es kein Badezimmer und kein WC, kein Fließwasser. Das holte man aus dem Brunnen im Hof. In den ersten Jahren meiner Schulzeit hatten wir auch noch keinen elektrischen Strom, nur Petroleumlampen.

Uns Kindern ging es aber gut. Wir genossen die Freiheit und die Abenteuer in den Schottergruben, Lacken, in den Feldern und Weingärten. Auf den Feldern waren riesige Strohhaufen, sogenannte „Strohdristen“, aufgestapelt. Die Höhlen, die wir ins Stroh gruben, boten Schutz für die „Doktorspiele“, bei denen man nicht erwischt werden durfte.

Ich hielt mich gern bei zwei Tanten auf. Die eine, die “Schustermutter”, war eine gute Frau mit einem großen Obstgarten. Bei ihr bekam ich oft ein Einweckglas voll mit Quittenkompott, das ich brav leer essen musste. Noch heute liebe ich Quittenkompott, besonders zum „Bröselfleisch“ (Schnitzel oder Backhenderl).

Die andere Tante, die „Mirlbasl“, war die Schwester meines Vaters. Ich habe sie geliebt. Sie war voll Sanftmut und eine gute Köchin. War ich bei ihr, ohne Geschwister, gehörte die Milchhaut, wie sie beim Milch abkochen entstand, allein mir. Es war eine von uns Kindern heiß geliebte Delikatesse. Wurde zu Hause Milch gekocht, warteten wir Kinder mit dem Löffel auf die aufsteigende Milchhaut. Der Schnellere konnte sie abschöpfen. Oft gab es dabei Streit. Die Mirlbasl kochte oft eine Hennne. Es war dies eines der billigsten Essen, aber auch eine der besten Fleischspeisen. Hühner haben aber nur zwei Füße, wir waren aber drei Kinder und wir liebten die Hühnerkramperl. Oft musste ich als Ältester, der ja vernünftig zu sein hatte, zugunsten der Geschwister darauf verzichten. Bei der Tante bekam ich aber alle beide und ich habe sie mit Genuss abgenagt.

Würde es heute noch gern machen.

© Lorenz Graf 2019-04-11