von Frederik Dressel
Saarbrücken ist nicht Paris, so gerne seine Einwohner den Vergleich auch anstellen, keine Frage. Ist auch nicht Rom, und genauso wenig Moskau. Und kann doch an einem guten Tag dem Vergleich mit jeder dieser Städte standhalten. Weil die saarländische Landeshauptstadt ein stadtgewordenes Chamäleon ist, in ihren verschiedenen Facetten mal an die eine und mal an die andere Metropole erinnert – und es dabei doch selber nie zur Großstadt gebracht hat.
Wir sitzen am St. Johanner Markt und trinken Espresso aus winzigen Tassen und wenn das Stimmengewirr um uns herum nicht so eindeutig deutscher Prägung wäre – wenngleich rheinfränkisch abgemildert und zum einzigartigen ‘Saarbrigga Platt’ veredelt – wir könnten uns fühlen wie in Paris.
Die weißen Fassaden der alten Häuser, die für ein paar Jahrzehnte, in denen Saarbrücken die Rotlichtkapitale der Republik war, allesamt Bordelle beherbergten, die Cafés und Restaurants in den Erdgeschossen, zu denen man die Vorhallen dieser ehemaligen Amüsierbetriebe umfunktioniert hat, die hier seit 1945 die Söhne und Töchter der Unterworfenen mit dem Volk der Unterwerfer versöhnten, hat doch die Gesetzeslage bezüglich der gewerblichen Prostitution in beiden Ländern seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine gegensätzliche Entwicklung genommen: während sie in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs legal, aber sittenwidrig war und heutzutage vollständig legalisiert ist, wurde sie in Frankreich lange noch stillschweigend geduldet, bevor 2016 zunächst die gewerbliche und danach die nicht-gewerbliche Prostitution verboten wurde.
Und so sehen sich vor allem junge Männer aus dem nahen Lothringen gezwungen, zur Befriedigung ihrer körperlichen Bedürfnisse die Grenze zu überqueren, zu der es aus der Saarbrücker Innenstadt keine zehn Minuten mit dem Auto sind.
Von der grenzüberschreitenden Nachfrage profitierte (und profitiert) vor allem Saarbrücken. Der St. Johanner Markt, im Herzen der Landeshauptstadt gelegen, war lange eines von Deutschlands öffentlichsten Rotlichtvierteln, auf Augenhöhe zumindest in puncto Promiskuität mit der Hamburger Reeperbahn. Kneipennamen wie „Tante Anna“ oder „Tante Maja“ erinnern bis heute an die Zeit, als die Etablissements mit der roten Lampe noch den Namen der jeweiligen Puffmutter trugen, ihres Zeichens allesamt Originale der Geschichte Saarbrückens und seines Nachtlebens.
Mittlerweile hat die Stadt den Markt zurückerobert, sie hat ihn gentrifiziert, wie man wohl sagen würde, und zelebriert dort jetzt ‘saarvoir vivre’ der bürgerlicheren Couleur.
Das Rotlichtviertel wanderte in der Folge ein Stück nach Osten und hat sich um die ins Nauwieser Viertel verlängerte Bleichstraße angesiedelt, wo sich jetzt die Tanzlokale und ‘Begegnungsstätten’, sowie die offiziellen Bordelle Saarbrückens, finden.
Und mit den Etablissements zog auch die Szene um.
© Frederik Dressel 2022-07-26