Minusintelligenz

Mira Mona

von Mira Mona

Story

Ich wünschte, ich würde eines Tages aufwachen und es wissen. Meinen Mund öffnen und singen wie Celine Dion. Meine Finger auf dem Flügel flott bewegen wie Mozart. Oder wenigstens meine Gedanken dazu bringen eine neue, weltbewegende Theorie aufzustellen. Wie Einstein. Aber nichts. Stattdessen wache ich nach zehn Stunden Schlaf wie immer viel zu müde auf. Versuche meine schweren Knochen aus dem Bett zu hieven und meinen nach totem, bereits verwestem Tier riechenden Atem beim Gähnen zu ignorieren. Meine Gedanken drehen sich rasant im Kreis wie jeden Morgen. Nicht um eine neue Relativitätstheorie, nein. Sondern um Eier mit Speck. Wie immer. Die Frage, was ich mit meinem Leben anfangen soll, hat sich bereits in meinen Kopf festgesaugt, wie ein Zeck am Nacken einer Landkatze. Ausdruck findet sie in einer subtilen, nervigen Stimmlage in meinem Kopf. Das könnte man sich in etwa wie den Schrei eines Kleinkinds vorstellen, dessen Stimme sich bereits verausgabt hat und nun in einer Stimmhöhe angelangt ist, die nur mehr Delfine und Nachbarn hören können. Die Mutter anscheinend nicht. Unglaublich nervtötend jedenfalls, aber nach einer Zeit gewöhnt man sich auch daran, nimmt es gar nicht mehr wirklich wahr und es gehört irgendwie zu einem dazu wie der erhabene, hässliche Leberfleck auf dem Rücken.

Wenn ich mich dann mal wirklich mit dem Gedanken befasse, komme ich ins Schwanken. Jahrelang habe ich mich und meine mangelnden Kenntnisse an Allgemeinbildung mit der Ausrede „Es interessiert mich nicht, so was muss man nicht wissen“ gerechtfertigt und mit „Es ist unnütz, wenn man damit eh nix anfangen kann und ich bin dafür in anderen Bereichen weitaus gebildeter als ein anderer“ bewaffnet. Jetzt aber bin ich mir da nicht mehr so sicher und meine Dankbarkeit, dass bis zum heutigen Tage keiner nach den „anderen Bereichen“ gefragt hat, weiß selbst von ihrer Sterblichkeit. Je weniger ich mich intellektuell fördere, desto mehr macht es mir den Anschein, dass ich in meiner Intelligenz zurückschreite. Gerechtfertigt ist daher meine Angst zu verblöden und in absehbarerer Zeit auf dem Stand eines Fötus zu enden. Aber um Gottes Willen ich weiß es deshalb trotzdem nicht! Und jedes YouTube Video und Ohmschalom Newsletter, die mir dabei helfen sollen „mein wahres Potential zu finden und zu entfalten“ haben mir bis jetzt nur Geld, Zeit und eine Sehnenscheidenentzündung gekostet.

Der Kinderschrei wird immer lauter. Und ich will mitschreien. Und ich schrei. Und ich schrei ganz ohne Allgemeinbildung, ohne Expertise in den „anderen Bereichen“, mit gefühlter Minusintelligenz. Und ich schrei und rolle mich wie ein Fötus, der ich bald sein werde, am Boden zusammen und fühle mich einfach zufrieden.

© Mira Mona 2020-08-12

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