von Bella Wohlgemuth
Paris, 18. Jahrhundert
Die trockene Hitze, die tagsüber gewütet hatte, kühlte nun langsam in den Straßen von Paris ab. Aus den gut besuchten Schänken drang Gelächter und erfreutes Geschrei auf die dunklen schmutzigen Gassen. Streunende Katzen liefen durch die rabenschwarze Nacht und suchten nach Essensresten.
Miras Lungen brannten wie Feuer und ihre Beine schmerzten. Sie und ihre Schwester Talitha legten eine Pause ein, denn sie bekamen kaum noch Luft.
„Wohin, jetzt?“, fragte Mira ihre Schwester und schnappte dabei hastig nach Luft.
Talitha war groß und schlank, hatte feine Gesichtszüge, volle geschwungene Lippen und traumhafte weibliche Rundungen. Ihr langes, pechschwarzes Haar hatte sie, wie es für eine Küchenmagd üblich war, unter einer weißen Haube versteckt. Sie blinzelte ihre kleine Schwester mit ihren dichten Wimpern an und rang ebenfalls nach Luft.
„Ich weiß nicht“, antwortete sie hastig und sah sich nervös um.
Beide hatten ein aus grauer Wolle geschnittenes, typisches knöchellanges Mägde Kleid an. Auch Mira trug ihr halblanges, dunkelblondes Haar unter einer weißen Haube verborgen, doch durch ihre hastige Flucht waren einige Strähnen in ihr verschwitztes Gesicht gefallen. Mira hatte dieselbe Figur wie ihre Schwester und die gleichen schimmernden blau-violetten Augen. Ihre weichen Gesichtszüge und ihre schmalen Lippen ließen ihr Erscheinungsbild kindlicher wirken, als sie tatsächlich war.
Als die Schwestern wieder genügend Luft in ihren Lungen hatten, suchten sie mit zusammengekniffenen Augen die dunklen Gassen ab, um einen Fluchtweg zu erspähen. Die Straßen zwischen den alten Steinhäusern wurden mit schwachem Kerzenlicht in den Straßenlaternen beleuchtet.
„Da“, sagte Talitha und deutete auf eine schmale Seitengasse. Beide liefen los, ohne sich auch nur einmal umzusehen, ob ihre Verfolger noch hinter ihnen waren. Die zwei Frauen hielten die schweren Holzpantoffel, die sie vorhin noch an ihren Füßen trugen, fest in ihren Händen, denn durch die heiße Sonne, die tagsüber am Himmel gestanden hatte, waren die rauen Pflastersteine am Boden warm genug, um mit nackten Füßen darauf laufen zu können.
Sie liefen durch die halbe Stadt, und Mira hoffte, bald in Sicherheit zu sein. Es dauerte nicht lange, da hörten sie hinter ihnen die königlichen Wachen rufen:
„Da sind sie.“
„Schneller.“
„Lasst sie nicht entkommen.“
© Bella Wohlgemuth 2024-01-29