Mirjam erinnert sich

Dagmar Lücke-Neumann

von Dagmar Lücke-Neumann

Story
St. Louis, USA 2012

Ein uns fremdes Paar war zu Gast in unserem Haus. Auf die Frage, wie es mir damit ging, würde meine Antwort sein: Gut! Es fühlte sich sehr vertraut an. Ich bedauere, dass meine Unternehmungslust durch die ungewöhnliche Hitze gelähmt wurde. Gern hätte ich Dagmar und Joachim auf ihren Tagesausflügen begleitet. Dafür nahmen wir uns morgens am Frühstückstisch genügend Zeit. Gesprächsstoff hatten wir genug. Am Abend fieberte ich ihrer Rückkehr entgegen.

Zu meinem Erstaunen hatten sie fast alle Hauptsehenswürdigkeiten unserer Stadt besucht, darunter das St. Louis Art Museum. Der deutsche Maler Max Beckmann wurde eines unserer Gesprächsthemen. Ähnlich wie meine Eltern hatte er Zuflucht vor den Nazis in den USA gefunden. St. Louis hatte ihm eine Anstellung als Professor ermöglicht. Unser abendlicher Austausch belief sich jedoch nicht allein auf Unternehmungen und Erlebnisse in unserer Stadt, er ging weit darüber hinaus. Wir sprachen über unsere Erfahrungen und teilten uns auch unsere gegenseitige Sicht auf das Leben mit. Es fühlte sich so vertraut an, als wenn wir vier schon immer befreundet gewesen wären. Mir wurde bewusst, dass wir unabhängig von unserer Herkunft und Geschichte in Frieden miteinander leben könnten. Die neue Freundin aus Hamburg hat eine Art zu lachen, die mich berührt und die ich bewundere. Ich fühle mich nicht in der Lage, meine Emotionen derart auszudrücken. Ich gehe so weit zu sagen, dass ich mich in dieses Lachen einbezogen fühle, so als wenn eine Hälfte von Dagmar für mich mit lacht. Dieses Lachen verhilft mir zu mehr Leichtigkeit. Es macht mich glücklich und in gewisser Weise frei. Besonders erfreut war ich, als die Beiden mich in die Synagoge begleiteten. Sie waren neugierig auf unsere Rabbinerin Susan, von der ich ihnen schon in Hamburg erzählt hatte. Umso enttäuschter war ich, als ich erfuhr, dass der Shabbat Service nicht allein von ihr abgehalten würde. Eine Praktikantin sollte einen Teil davon übernehmen. Am Ende war sie besser als ich es erwartet hatte. Nachdem mehrere Menschen zu Wort gekommen waren, ergriff ich die Gelegenheit meine Gäste aus Deutschland vorzustellen. Ich wollte meine Freude über diesen Besuch mit allen teilen. Ein wenig schüchtern wirkten die Beiden auf mich, als alle zu applaudieren begannen. Waren es die Emotionen, ihr natürlicher Charme oder das Besondere an unserer Freundschaft? Viele Menschen traten nach vorn, um die Besucher aus Deutschland zu begrüßen. In diesem Moment spürte ich eine große Freude und Dankbarkeit.


 


 


 


 


© Dagmar Lücke-Neumann 2025-03-18

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional