von MISERANDVS
Weil ich sowieso nicht schlafen kann, und ich der festen Überzeugung bin, es muss weitere Filme geben, die es wert sind gesehen zu werden – außer “Im Land der Raketenwürmer” – zieh ich mir vorm Schlafengehen Blockbuster rein, die ich noch nie gesehen habe. Heute: Mission Impossible 2.
Was soll ich sagen! Reißt mich nicht vom Hocker. Aber ich stelle erfreut fest, dass eine meiner Lieblingsschauspielerinnen mit dabei ist, die ich natürlich sofort erkenne: “Ach, schau, das ist doch die eine, die … Na, wie heißt die noch? Ja, die … Himmel! Hm, die find ich gut.” Thandie Newton heißt sie übrigens. Als vom Film grad noch zehn Minuten übrig sind, ist es halb vier, und ich merke, wie mich der Schlaf packt. Das Ende schaff ich nicht mehr, denn das Sandmännchen ist ein unerbittlicher Geselle.
Zack! Und ich bin weg. Im Träumeland.
“Ist das schön! Nein, wirklich, das macht mich glücklich.”, höre ich mich sagen, und ich blicke in lauter freundliche Gesichter von dutzenden Menschen, die um mich herumstehen und mich anlächeln, sich mit mir freuen. “Das ist ein wirklich schöner Augenblick. Das muss ich meiner Pollenfee erzählen.” Schöne Momente – mit wem wollte ich sie lieber teilen, als mit ihr! Und ich greife zum Handy, suche ihren Namen in der Kontaktliste. Ich wische nach unten, dann nach oben – Ich finde ihren Namen nicht. Das kann doch nicht sein. Unter „P“ vielleicht? Nein. Ist Quatsch. Sie ist doch unter „Lydia“ gespeichert. Ich suche wieder. Immer schneller und panischer wische ich die Liste hoch und runter. “Ich finde sie nicht.”, sag ich irgendwann leise. Und ich sehe hilfesuchend auf die Menschen um mich herum, von denen sich einer nach dem anderen schweigend umdreht. “Wieso ist sie denn nicht mehr in meiner Liste?”, schreie ich verzweifelt. Doch niemand gibt mir Antwort…
Es ist vier Uhr, als ich aus dem Schlaf hochfahre, weil ich wieder ihren Namen brülle. Wenn das so weitergeht, wird mein Nachbar irgendwann die Bullen rufen. Eine halbe Stunde Schlaf. Ich bin nervlich am Ende, seit Wochen übermüdet und ständig gereizt. Meine Hände zittern inzwischen den ganzen Tag hindurch so, dass mir das Schreiben zuwider ist, weil ich mich so oft vertippe. Überhaupt fällt mir das Schreiben schwer, weil mir Worte auf der Zunge liegen, und ich sie nicht abrufen kann. Ich hab das Gefühl zu verdummen, und das macht mich zornig und panisch zugleich. Auf Nachrichten über Messenger antworte ich kaum noch, hab mich auch sonst völlig zurückgezogen. Ich hocke halbe Ewigkeiten da, starre regungslos vor mich hin, denke an sie. Ich rieche ihren Duft, spüre ihre Haut, höre ihr Lachen, flüstere ihren Namen.
Woche elf seit Lydias Tod. Jahr sechs seit sie ins Koma fiel. Jahr 19, seit wir uns getrennt haben, und ich sie jeden Tag vermisse. Die Paradoxie der Situation ist mir bewusst. Mit jedem neuen Tag wird die Sehnsucht nach ihr unerträglicher. Ihren Tod zu akzeptieren – Meine Mission impossible.
Jede kleine Hoffnung auf Erlösung… zerstört sich selbst in fünf Sekunden.
© MISERANDVS 2021-07-12