von handzahm
Mein großer Bruder hat gerade den Führerschein gemacht. Er ist deutlich älter als ich. Ich finde es megacool mit ihm in seinem tiefergelegten Peugeot 206 zu sitzen. Stolz zeigt er mir alle möglichen Knöpfe und die Unterbodenscheinwerfer. Das Auto hat sogar elektrische Fensterheber, das kannte ich von Papas altem roten Mazda nicht. Ich fand es so spannend und war richtig aufgeregt, als ich mit ihm die ersten Runden drehte.
Genau beobachtete ich wie er den Ganghebel betätigte und versuchte zu erspähen was passiert, wenn er mit dem einen Fuß gegen das Pedal drückt und mit dem anderen. Was das mit dem Schalten auf sich hatte, verstand ich nicht wirklich. Ich frage ihn: “glaubst, kann i des a amoi, Autofahren?”
“Najo für blonde Frauen is des immer a bissl schwara, dass an Führerschein kriagn“, antwortete er.
Ich hielt immer viel auf das, was mein großer Bruder sagte, vieles war jedoch reine Fopperei und er lachte sich tot, wenn ich ihm glaubte.
Ich war ein ruhiges, sensibles Kind. Kaum jemand konnte mit meiner Art etwas anfangen. Aber es gab auch die andere Seite in mir, die die ich vorgelebt bekam. Dazu gehörte alles, außer Gefühle zu zeigen. Ich schwankte immer zwischen “dazugehören wollen” &“meine Meinung sagen”. Vor allem aus Angst, dass das was mein Bruder sagt, wirklich wahr sein könnte und aus Wut, weil mich niemand ernst nimmt, machte ich so manchen Unfug, über den ich zum Glück heute lachen kann.
“Bei blonden Frauen ist das manchmal schwerer…”, Dieser Satz setzte sich tief in mir fest. Ich bekam richtig Angst, dass ich niemals den Führerschein bekommen würde
So dachte ich mir (ich war damals 9), wenn ich früh genug zu üben beginne, dann werde ich es bestimmt schaffen, ich habe noch 9 Jahre Zeit.
Voll motiviert stieg ich in Papas roten Mazda 323. Ich hatte beobachtet, wo er den Schlüssel am Abend ablegte und wartete auf einen günstigen Moment, in dem mich niemand dabei beobachten konnte.
Der Mazda stand immer in einer Unterfahrt von der man geradeaus einige Meter im Hof fahren konnte. Wir hatten keine Nachbarn und die Bundesstraße war weit genug weg. Also kann nichts passieren. Ich fahr einfach ein paar Meter nach vor und wieder zurück fürs Erste. Das war mein Plan.
Gut. Schlüssel steckt. Sitz hab ich nach vorgeschoben. Ich war damals schon recht groß, die Pedal erreiche ich mit Mühe. Starten und Kupplung treten, hab ich mir von meinem Bruder abgeschaut und los geht’s. Ruckl. Stopp. Motor aus. Ein erneuter Versuch. Wie war das mit dem Gang nochmal? Starten. Lenkrad. Kupplung und Tusch. Oh mein Gott. Was ist jetzt passiert. Das Auto steckt in der Wand. Wie erkläre ich das meinem Vater? Ich sag einfach, ich war’s nicht…?
Da ich noch kein Geld besaß, musste mein Vater natürlich den Schaden bezahlen. Er bestrafte mich mit grimmigem Schweigen. Und den Spott meines Bruders kann ich bis heute in meinen Ohren hören.
© handzahm 2021-04-03