von Anna Uano
So viele Menschen hatten sich auf dem großen Platz versammelt. Und doch fühlte ich mich nicht mehr von ihnen erdrückt. Es war gut so, dass sie da waren- jeder für sich. Ich war nur eine unter vielen und mein Schmerz wirkte gleich viel kleiner. Zum Glück hatten mich meine Freunde überredet, zu kommen. Der Abend war lustig gewesen und ich war dankbar darüber, die letzten Stunden des Jahres nicht alleine zu verbringen. Ich hatte mir so viele Vorsätze für das neue Jahr gemacht und doch trug mich nur ein Gedanke von Atemzug zu Atemzug: „Ich muss endlich weitermachen“. Die stille Weihnachtszeit war Wirklichkeit geworden und hatte es mir ermöglicht, mein Tempo zu drosseln und in der Realität anzukommen. Ich hatte gelernt, meine Gefühle anzunehmen, ohne sie ersticken zu wollen. Es war gut so, dass sie da waren.
Nun stand ich also hier und starrte in den wolkenlosen, klaren Nachthimmel. Einzelne Sterne blinkten am Himmel. Mit vor Kälte zitternden Fingern hielt ich das Feuerzeug an die Wunderkerze. Kaum sprangen die ersten Funken, erfüllte mich wieder die Stille. Sie war mir Willkommen, denn sie brachte mir Frieden und Wärme. Mein Herz verstummte für einen lang anhaltenden Moment. Ich aber konnte meinen Blick nicht von den Funken lösen. Sie knisterten und strahlten. Mein Atem ging ruhig und kontrolliert, auch wenn mein Herzschlag schneller wurde. Um mich herum wurde laut gezählt. – Zehn – Neun – Acht – Ich schloss noch ein letztes Mal meine Augen. Jona zog an mir vorbei. – Sieben – Sechs- Fünf – Ich dachte an die Zeit im Café, den Abend der Ballettaufführung. Das Leben, das mich erfüllte. – Vier – Drei – Zwei – Und dann endlich, zum ersten Mal, stellte ich mir vor, wie ich ins neue Jahr hinüber schlitterte. Erhobenen Hauptes. Mutig, selbstbewusst, schmerzbehaftet. Aber voller Hoffnung. – Eins – Die Funken hatten das Ende der Wunderkerze erreicht und ich richtete meinen Blick hinauf in den dunklen Himmel.
Mit einem lauten Zischen schossen die Raketen in die Luft. Mein Puls beschleunigte sich, das Herz hämmerte in meiner Brust. BummBumm. Mit einem lauten Knallen explodierte das erste Feuerwerk am Himmel und lies einen Funkenregen auf uns hinabrieseln. Wie sanfte Tränen, die zu Staub zerfielen. Ich legte all meine Hoffnung in sie. Meine Trauer, mein Schmerz, all das war mit eben dieser Rakete in den Himmel geschossen.
„Mit einer Rakete lasse ich dich los“, dachte ich bei mir und genauso war es. Jedes BummBumm donnerte in mein Herz und ließ es ein Stück leichter werden. Der Himmel wurde bunt und meine Trauer weniger. So viele Erinnerungen und auch zerstörte Pläne verglühten gemeinsam mit jedem Funkenregen zu Asche. Ein neues Jahr lag vor mir. Die Welt drehte sich weiter und sie war nicht mehr still. Während die bunten Farben den Himmel über uns erhellten und verzauberten, spürte ich, dass ich irgendwann wieder ohne dieses Stechen atmen, ja vielleicht sogar wieder lieben konnte. Eine letzte Träne sammelte sich in meinem Augenwinkel und rann über meine Wange hinab. Achtlos wischte ich sie fort und sie fiel auf den weißen Schnee. Für diesen Augenblick reichte es, einfach hier zu stehen und zu wissen, dass ich auf dem Weg war, mich selbst wiederzufinden.
© Anna Uano 2024-12-25