Mit Kafka im Lockdown

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

Franz Kafka hat die spanische Grippe überlebt. Damals wurde von der Polizei überwacht, ob die Menschen auch wirklich in ihren Häusern bleiben. Es gab also – jedenfalls zeitweise – auch so etwas wie einen „Lockdown“. Wer übrigens die Regeln nicht einhielt, konnte inhaftiert werden.

Kafka hat die ausufernde Bürokratie präzise geschildert. Er hatte eine Vorahnung davon, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Und heute ist es die Bürokratie, die sich in Zeiten der Pandemie als Bremse erweist. Ich lese gerade zum wiederholten Male „Das Schloß“. Auch im Lockdown eine lohnenswerte Lektüre. Der Landvermesser K. schlägt sich mit einer Bürokratie herum, gegen die er letztlich keine Chance hat. Irgendwann soll ein Akt im Umlauf gewesen sein, dass das Dorf einen Landvermesser beantragte. Doch dieser Akt ist in Verstoß geraten. Die Gehilfen suchen aber auch nicht wirklich ernsthaft. Und der zuständige Beamte verweist, nachdem der Akt nicht gefunden werden kann, auf einen höheren Beamten, der wahrscheinlich den Akt bei sich haben wird. Ob tatsächlich ein Landvermesser beantragt wurde, ist Jahre nach dieser vom Gemeindevorsteher beschriebenen Vermutung unklar. Möglicherweise gab es diesen Antrag nie. Und wie sollte dann ein Akt gefunden werden, der K. zusichert, dass er erwünscht ist, wohin er doch zitiert wurde?

Angesichts des Chaos bei den bevorstehenden Impfungen erweist sich Österreich – und nur davon soll hier die Rede sein – als Bürokratie vordersten Ranges. Und zwar als Bürokratie, die nur bedingt funktioniert. Denn wer für was zuständig ist und ob diese Person auch wirklich Ahnung von dem hat, was ihr anvertraut wurde, ist die große Frage. Tatsächlich scheint es viele Beamte zu geben, die in erster Linie Beamte sind und die ihnen anvertraute Materie nicht beurteilen können. Das ist genau die Konstellation, wie sie im „Schloß“ beschrieben wird. Zwar wird behauptet, dass dieser und jene Beamte sehr gewissenhaft sei, und jeder kleine Beamte hat unzählige Gehilfen, die ihm seine Arbeit erleichtern sollen. Eigentlich kennt aber niemand die Abläufe so gut, dass sie K. hilfreich sein könnten. Nun, und bei Kafka sind es ausschließlich Männer, die an der festgezogenen Schraube der Bürokratie drehen und sie keinen Millimeter zu bewegen vermögen.

Dieses Ausgeliefertsein an eine Bürokratie, die unbarmherzig ist, macht die Meisterschaft des „Schloßes“ aus. Es ist so etwas wie die in Stein gehauene Anlaufstelle für die Dorfbewohner, von der sie nichts zu erwarten haben. Denn vom Dorf kann keiner ins Schloß vordringen. Ja, schon der Weg dorthin scheint unmöglich zu sein.

Übertragen auf das Chaos, wie es in Österreich während der Pandemie gegeben ist, gäbe es nur eine Option, diesem Teufelskreis zu entgehen: Nämlich kompetente, mit der Materie vertraute Menschen mit diesen sehr wichtigen Angelegenheiten zu befassen. Selbst K. will sich nicht geschlagen geben, und wir sollten auch hoffnungsfroh in die Zukunft schauen.

© Jürgen Heimlich 2021-01-08

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