Mit Weihwasser und Rauch durch Haus und Hof

LillyRuth

von LillyRuth

Story

Es hatte etwas Heiliges. Hinter dir am späten Abend des 24. Dezembers herzugehen. Wir waren Teilnehmer einer kleinen Prozession. Du, Vater, gingst ganz vorne mit einem Metalleimer, der glühende Kohlen und Weihrauch enthielt. Meist nach dem Alter absteigend angeordnet, marschierten wir vier Kinder hinter dir. Eines von uns Geschwistern durfte das Kännchen mit Weihwasser tragen. Darin tauchten wir immer wieder den Tannenzweig, den jeder von uns in der Hand hielt. Ganz andächtig hast du ein Gebet vor dich hin gemurmelt. Wir versuchten dich und deine ernste Miene nachzuahmen. Wenn uns dies nicht gelang und uns ein Kichern herausrutschte, hast du dich mit finsterer Miene zu uns umgedreht. Dann war wieder für einige Minuten ernste Stimmung angesagt. Bis zum nächsten unterdrückten Lachanfall.

Am schönsten war es für mich, wenn wir die Ställe mit den Tieren betraten. Verdutzt guckten uns die an regelmäßige Abläufe gewohnten Kühe ob der nächtlichen Störung an. Bei den Milchkühen, die eigene Namen trugen, wurde jede einzeln mit Rauch beweht und mit Weihwasser gesegnet. Ich liebte diese Momente. “Gib brav Milch und bleib gesund”, flüsterte ich den vierbeinigen Damen einer nach der anderen zu und besprengte sie danach mit meinem Tannenzweig. Es war vermutlich Einbildung, aber ich hatte immer das Gefühl, dass sie mich verstanden und mir auf ihre Weise zunickten oder mich anzwinkerten.

Bei den Stieren, die in Gruppen in einem eigenen Stall gehalten wurden, gab es von der Ferne eine Pauschalsegnung. Zu groß war mein Respekt vor den Hörnern dieser Tiere und ihrer latenten Aggressivität, als dass ich mich näher an sie herangewagt hätte.

Auch die Schweine lebten in zwei getrennten Stallungen, die bei mir jeweils unterschiedliche Emotionen auslösten. Den Bereich der Mastschweine zu betreten, machte mich immer traurig, denn jeden Montag wurden Bewohner dieses Stalles vom Fleischhauer-Lastwagen abgeholt und in späterer Folge zu Schnitzel und Co verarbeitet. Ich segnete am Heiligen Abend diese Tiere wieder gesammelt mit einer Weihwasser-Dusche und wünschte ihnen im kommenden Jahr einen schnellen und schmerzlosen Tod.

Warm ums Herz wurde mir hingegen bei den Zucht-Sauen, denn hier lagen Schweinemütter mit den oft kürzlich geborenen und noch an ihren Zitzen saugenden Nachkommen. In diesem Stall war es nie dunkel, denn du, Vater, hattest immer Wärmelampen montiert, damit es die jungen Schweinchen schön warm hatten und sich gut entwickeln konnten.

Wenn unsere Ausräucherung abgeschlossen war, betraten wir wieder das Haus, in welchem es bereits nach Sauerkraut, Erdäpfelschmarrn und Bratwürsten roch. In Dankbarkeit blicke ich zurück auf diese Erinnerungen. Sie haben sich wie ein Schutzmantel um meine Seele gelegt und lassen mich noch heute besser ertragen, was nach diesen unbeschwerten Jahren kam.

Du und wir vier Kinder – die Rasselbande und ihr Anführer. Vereint auf ganz besondere Weise. Für immer.

© LillyRuth 2021-12-23

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