Fast alle im beschaulichen StĂ€dtchen Omis sprachen damals und wĂ€hrend unserer Sommerferien angeregt vom mĂ€chtigen IndianerhĂ€uptling, der wiederholt hier und am nahen Fluss Cetina gesehen worden war. Wir Kinder kannten ihn, weil einige seiner BĂŒcher zu Hause in unseren Bibliotheken standen. Insbesondere mein jĂŒngerer Bruder bewunderte den mutigen Reiter, wĂ€hrend ich Charles Dickens Abenteuerromane bevorzugte. Da meine Mutter und ihre Familie vernĂŒnftig Englisch sprachen und mich die gekonnt illustrierten BĂŒcher begeisterten, las ich sie, teilweise zumindest, in der Originalversion. Auch in Omis liefen seit Monaten die in den 60er Jahren hier entstandenen Filme Karl Mays, welchen wir natĂŒrlich mit Begeisterung folgten.
Als ich im Herbst neuerlich in MĂŒnchen weilte, lud mich Vater zu weiteren Vorstellungen ein. Dort betrachtete er mit bisweilen spĂŒrbarer Wehmut seine lange verlorene Heimat, die er nach Kriegsende verlassen musste. Es handelte sich um ErzĂ€hlungen von der nicht immer friedlichen Vergangenheit und ĂŒber die Verletzungen bei der Flucht. Hier und insbesondere bei seiner Familie im SĂŒden wuchs, auch aufgrund der Reisen dorthin, ein groĂer Teil der mich prĂ€genden AffinitĂ€t zu unserem kleinen Paradies an der Adria, das Ernst JĂŒnger einmal so treffend beschrieb!
Es war an einem noch jungen Abend, als meine Freunde und ich auf der oft belebten Piazza neben der barocken Pfarrkirche Michael auftraten. Jeder dieser ĂŒberschaubaren mediterranen PlĂ€tze besitzt erkennbare Eigenschaften eines Theaters mit oft festgelegten Regeln, die wir als neue Schauspieler bald gut beherrschten. Man blieb stehen, blickte interessiert umher, um erkannt, taxiert und vielleicht begrĂŒĂt zu werden. Den Wirt des gepflegtesten Restaurants und die lokale Prominenz begrĂŒĂten wir zuerst, worauf der allseits devote Kellner dem Gast einen ihm entsprechenden Platz gab. Dieser zeigte, welchen Rang man ihm zuwies und wie zĂŒgig er seine Order erhalten wĂŒrde. Am Rande des Forums, nahe am sprudelnden Steinbrunnen, bemerkte ich eine offensichtliche Unruhe im verwunderten Publikum. Als einige Kinder laut âPapa schau, da sitzen Winnetou und Old Shatterhandâ riefen, wurde uns der Anlass der plötzlichen Aufregung verstĂ€ndlich. Und fĂŒrwahr logierten dort einige Einheimische im Kreis ihrer Freunde, die als Indianer verkleidet waren. Wer nun der echte Winnetou sei, war im rasch entstehenden GedrĂ€nge kaum erkennbar. Deshalb erdreistete sich der Mutigste, Marco, den Wirt zu ersuchen, uns in die NĂ€he der Prominenz zu fĂŒhren. Unerwartet folgte er der Bitte und besorgte einen Platz auf einer steilen Treppe, die sich am Platzende befand. Nun erkannten wir den wirklichen Helden und winkten ihm zu. Etwas spĂ€ter erhob sich Monsieur Brice und ging zum Waschraum. Auf dem RĂŒckweg schritt er blinzelnd vorbei, grĂŒĂte und schenkte uns seine Bildkarten. Welch ein denkwĂŒrdiger Abend, dachte ich beim Einschlafen in meinem âIndianer Zeltâ!
© Michael M. Stanic 2020-10-02