von Michael Stary
Als ich bei der Rezeption des Schlosses einchecke, welches mir die nächsten Tage als Retreatplatz dienen wird, bekunde ich, dass leider meine Brieftasche zu Hause blieb. Kein Problem heißt es und nebenbei bemerke ich, dass dies der vierte Platz der Woche ist und ich sicher nicht ganz bei mir bin. Gestern um diese Uhrzeit kam ich gerade mal von Wien mit dem Zug an, was so nicht geplant war. Noch einen Tag davor stehe ich in Köln am Gate, bereit einzusteigen, als ein SMS die gesamte Menge an flugwilligen Passagieren zum lauten Stöhnen bringt, weil der Flug aus dem Nichts abgesagt wurde. So ganz aus dem Nichts natürlich nicht, doch zu dieser Zeit erfuhr niemand die Ursache.
Daraufhin begann ein Suchen nach Möglichkeiten am vollen Flughafengelände, wo sich gerne uniforme, biertrinkende Gesellschaften zu kleinen, grölenden Inseln versammeln und das Leben auf ihre Art mit einer Bluetooth Box feiern.
Der Kundendienst am Telefon ist durchaus freundlich und nach dem vierten Telefonat bin ich drei Stunden später statt nach Klagenfurt auf den Flug nach Wien gebucht, was mich in Bewegung bleiben lässt. Die Zwischenzeit nutze ich, um das für mich stimmigste Hotel über eine vertraute Suchmaschine zu finden.
Der Flieger nach Wien ist voll und ich fühle mich in diesem Abenteuer durchaus wohl. Kein Bedauern ist seit der Absage spürbar. Überraschend freundlich und gesprächsbereit war auch mein Sitznachbar aus Köln, durch den die Zeit im Fluge verging. Zum ordentlichen Verabschieden reichte es nicht, da wir unterschiedliche Busse nach der Landung bestiegen, doch wir hören uns wieder.
Wien ist am nächsten Tag in der Früh um Neun leer. Der Naschmarkt lebt noch nicht, was mich wundert, da ich schon bereit für Marktleben bin. Die Dimensionen der Stadt und ein nicht rechtzeitig servierter Cheesecake verursachen, dass ich mich im Dauersprint zurück zum Hotel und dann mit Sack und Pack zum Bahnsteig bewege, der hoffnungslos überfüllt ist, ich fast den Zug versäume und dazu meine engen Jeans mit gehörig Wärme an der Hautoberfläche der Oberschenkel reagieren.
In den bequemen Sitz fallend bemerke ich ein bekanntes Gesicht neben mir und als uns der Kellner eine Erfrischung anbietet, geht es uns besser. Doch der andere Mann, der mir dann gegenübersitzt, macht die ganze Business Class zunichte. Mit einer überdimensionalen Trafostation auf Rädern misst er angeblich Netzanbindungen und als mir eines seiner fünf Smartphones auf den Knöchel knallt, mischt sich leichter Zorn in meine gestohlene Beinfreiheit. Er entschuldigt sich höflich mehrmals in gebrochenem Englisch.
Die Anfahrt zum Schloss zeugt von der Naturgewalt, weswegen der Flieger nicht abhob. Baumstämme liegen kreuz und quer entwurzelt herum, manche sind abgebrochen wie Zahnstocher, was von der Kraft des Windes rührt, der mit Spitzen bis zu 139km/h alle hier überraschte. Kurz davor waren die Tiere stumm, alles leise, der Wald ohne Ton. Dann kam der Sturm. Etwas Ruhe tut hier nun allen gut.
© Michael Stary 2022-08-27