Möglichkeitsmenschen

Anna Theresa Schreiber

von Anna Theresa Schreiber

Story

Möglichkeitsmensch. Ein Begriff, den ich bereits in einer Ă€lteren Geschichte verwendete. Ein Wort, das ich einmal in einem Tagebucheintrag zu erfinden glaubte. Leider hatte es Robert Musil in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ schon lĂ€ngst verwendet. Der Möglichkeitssinn liegt mir wohl (leider?!) nĂ€her als der Wirklichkeitssinn. Ich werde hier aber nicht weiter auf ein Buch eingehen, dass ich nicht wirklich gelesen habe. Stattdessen werde ich jetzt von der Möglichkeit Gebrauch machen, meine eigene Definition der Möglichkeitsmenschen zu prĂ€sentieren.

Die Frage ist viel eher: kennt ihr welche, seid ihr welche?

Menschen, denen im Leben noch alle Möglichkeiten offen zu sein scheinen, was die Gestaltung ihres Lebens in Beruf, Beziehungen, Wohnsituation usw. betrifft. Intelligent und eigenwillig sind sie, auf dieser Grundlage traut man ihnen im guten wie im schlechten viel zu, sowohl was ihren zukĂŒnftigen Charakter als auch ihre kĂŒnftigen Lebensentscheidungen- und UmstĂ€nde betrifft. Man traut ihnen eher eine bewegte Biografie zu, hĂ€lt es aber auch durchaus fĂŒr möglich, dass sie langweilig werden. Sie sind einfach unberechenbar. Bei ihnen scheint einfach alles möglich zu sein.

Ihr Leben ist ein offenes RĂ€tsel, man wartet jedenfalls auf den Tag, an dem sie etwas wirklich Spannendes erlebt haben, irgendein großes Risiko eingegangen sind oder etwas Ungewöhnliches tun. Es wĂŒrde Anlass zu Spott geben, wenn sie aus Versehen so werden, wie die meisten anderen ihrer Zeitgenossen, ohne eines Tages eine radikale VerĂ€nderung zu provozieren. Dennoch wĂŒrden viele Leute auch anerkennend-erleichtert tuscheln, dass aus dieser Person immerhin nicht nichts geworden ist.

Ich bin selbst ein möglicher Mensch und begeistere mich fĂŒr andere mögliche Menschen. Vor ihnen muss ich keine Rechenschaft ablegen, warum ich mir immer eine unkonventionelle Note in meinem Leben beibehalten will, manche Fragen ĂŒber meine Zukunft einfach nicht beantworten kann und mich keiner vorgegebenen Schablone anpassen werde.

Es gibt die Stillen unter ihnen, denen aufgrund ihrer seltenen und unklaren Äußerungen alle Möglichkeiten angedichtet werden, denen man zutraut, entweder alles oder gar nichts zu schaffen.

Es gibt aber auch die Angeberischen, die gerne lange Reden ĂŒber ihre zahlreichen Möglichkeiten halten, von denen sich einige widersprechen und viele nie umgesetzt werden – und man ihnen dabei dennoch die grundsĂ€tzliche Wahrheit zutraut, eine Person zu werden, die viel in der Welt möglich macht.

Bei mir selbst gibt es (im steten Wechsel) Zeiten der Stille und der „Angeberei“. Die Uni ist (möglicherweise) der natĂŒrliche Lebensraum dieser Möglichkeitsmenschen (besonders in den philosophischen SphĂ€ren sind sie zeitweise anzutreffen, bis sie sich möglichst neuen Möglichkeiten zuwenden).

Ein Hoch auf uns, unmögliche Möglichkeitsmenschen!

© Anna Theresa Schreiber 2022-10-23

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