Molle und Bulette

Jökull

von Jökull

Story

In Österreich sagt man je nach Region „oa Halbe”, oder ‚Seidel“ oder “Krügel”. In Bayern bestellen Durstige „a Moaß“, anderswo einen „Humpen“. Gemeint ist in allen Fällen ein Glas Bier in der ortsüblichen Größe. Das Berliner Äquivalent nennt man „Molle“. Abgeleitet ist das Wort von der „Mulde“. So nennt man im Norden Deutschlands eine Senke, also eine größere Vertiefung im Boden, in die es gelegentlich hineinregnet.

Regen ist in angemessener Menge ein Segen, vor allem nach längerer Dürre. Muss der Berliner eine Dürrephase durchstehen, so heißt das wie auch anderswo in Deutschland „darben“. Das bedeutet so viel wie „Not leiden“ oder „großen Hunger haben“. Bevor der Hunger lebensbedrohlich wird, sollte man auf dringenden ärztlichen Rat erstmal den Durst löschen. Den Hunger kann man eine ganze Weile aushalten. Bevor er zum Tod führen könnte, ist man ohne zu trinken längst verdurstet. Man sollte es aber nicht so weit kommen lassen, dass man einem Hunde gleich auf allen Vieren kriechend nach einem Regenguss eine vollgelaufene Mulde leer säuft.

Stattdessen begibt sich der Berliner in eine der zahlreichen Kiezkneipen und bestellt eine Molle. Hat er auch Hunger, bestellt er sich zum Beispiel eine Bulette. In den Alpen sagt man dazu Fleischpflanzerl oder Fleischlaberl. Außerhalb von Berlin und Brandenburg ist es eine Frikadelle. Die Bulette haben die Berliner Napoleon zu verdanken, denn unter einer „Boulette“ versteht der Franzose ein Fleischkügelchen. Heute dürften neben der Bulette die Currywurst und der Dönerspieß in der Gunst der Hungrigen gleichermaßen begehrt sein.

Wie fast überall in Deutschland ist die Brauereienlandschaft bis auf einige Großbrauereien geschrumpft. In Berlin sind von den vielen Namen nur noch Schultheiß und Berliner Kindl übriggeblieben. Aber wie kommt das in Bayern geläufige „Kindl“ nach Berlin? In den Jahren ab 1890 entschloss man sich ein Bier nach Bayrisch-Münchener Art zu brauen. Das Kindl auf dem Münchner Stadtwappen spielt auch auf dem Oktoberfest eine (maßkrug)tragende Rolle. Davon anscheinend beeindruckt wollte Berlin hinter München nicht zurückstehen. So wurde nicht nur dieses spezielle Bier, sondern gleich die ganze Brauerei Berliner Kindl genannt. Auf den Flaschenetiketten ist das Kindl eher eine freche Berliner Göre, die in einer Molle sitzend schelmisch über den Glasrand kiekt. Heute sind Schultheiß und Berliner Kindl unter einem Dach vereint und ein Teil der Oetker-Gruppe. Die Berliner Brauereiszene hat sich in den letzten Jahren um eine Reihe an Klein- und Craft-Brauereien erweitert. Es lohnt sich deshalb, auf Entdeckungstour zu gehen.

Kommt der Berliner Kneipengänger nachts nach Hause, ist wieder die Molle im Spiel. Dann lässt er sich müde und bierselig in die „Furzmolle“ fallen. Diese Wortschöpfung entstammt der Soldatensprache. Gemeint ist ein Möbelstück zum Schlafen. Vermutlich ein Bett mit durchgelegener Matratze, also mit Mulde.

© Jökull 2022-02-22

Hashtags