Die Feuchtigkeit des nächtlichen Regens hing schwer in der Luft. Vereinzelt zogen kräuselnde, schneckenhausähnliche Gebilde von Dunstschwaden durch den Garten. Sie lagen nicht nur über dem wuchernden Gemüsebeet, sondern schwebten auch knapp über der Wasseroberfläche des angelegten Teiches. Vögel zwitscherten in den Bäumen und die ersten Insekten flogen auf der Suche nach Nahrung umher. Eine Hummel verirrte sich zum Marmeladebrot auf dem Frühstücksbrett. Dessen Holz stammte vom Walnussbaum, der im Zuge des Umbaus vor ein paar Jahren gefällt werden musste. Nach kurzem Schnuppern flog sie auch schon wieder davon.
Lächelnd sah er dem Tier nach und sog alle Eindrücke des morgendlichen Gartens wie ein Schwamm in sich auf. Ruhe durchströmte ihn und er genoss die Stille des Morgens. Vor seinen Augen sah er wieder das Bild, das er seit Wochen malen wollte. Die Fingerspitzen kribbelten und verlangten nach den Holzstielen der Pinsel, während seine Geruchsknospen auf den Duft der Ölfarben hofften. Genüsslich trank er den letzten Schluck seines morgendlichen Tees, dessen Kraut im eigenen Garten gesammelt worden war, und ließ den Blick erneut über das Wasser schweifen.
Etwas war anders.
Doch es lag nicht an dem, was er sah. Die Veränderung verbarg sich vielmehr in seinem Inneren, wo es nur darauf wartete, hervorzubrechen.
Aber was wollte aus ihm heraus?
Seine Augen wandernten suchend umher und blieben schließlich an den rankenden Ausläufern der Kapuzinerkresse hängen. Gelbe, orangefarbene und rote Blütenköpfe lockten wie zufällige Farbpunkte Insekten an und hielten auch seinen Blick gefangen. Eine Erinnerung versuchte, wie an einen Strohhalm geklammert, aus den Tiefen seines Unterbewusstseins hochzuklettern. Er kniff die Augen leicht zusammen und versuchte, sie mit seiner bloßen Willenskraft heraufzuziehen. Er schaffte es jedoch nicht und so blieb sie unter der Oberfläche seines Bewusstseins im Verborgenen, als wartete sie auf eine neue Gelegenheit.
Kopfschüttelnd und leicht verwirrt steckte er sich den letzten Bissen des selbstgebackenen Brotes in den Mund, stand auf und räumte sein Frühstücksgeschirr hinein. In der Küche warteten noch die Marmeladegläser auf ihn: Marille und Jostabeeren, beide mit Früchten aus dem eigenen Garten eingekocht. Er klopfte das Brett über der Abwasch ab und schlug den Rest des Brotes in einem Geschirrtuch ein, bevor er es in die Vorratskammer brachte.
© Stefanie J. Koppensteiner 2021-08-14