Mossa

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Vor einigen Jahren reiste ich mit einer Gruppe quer durch Sizilien, bevor ich für eine zusätzliche Badewoche im Süden der Insel blieb.

Auf unserer Rundreise besuchten wir Orte, die ich höchstens dem Namen nach kannte, erprobten die Akustik des Amphitheaters von Taormina und bestaunten Palermo in seiner morbiden Pracht. Wir sahen herrliche Plätze und Kathedralen, von denen mir aber hauptsächlich die Fassaden gefielen. Innen waren sie meist düster, und den Fußböden mit ihren lockeren Steinplatten traute ich nicht so recht. Ich wollte doch nicht unten auf den Sarkophagen landen und war immer froh, wenn wir wieder ins Freie traten.

Verkostungen von cremegefüllten Hörnchen wechselten sich mit der Besichtigung altgriechischer Tempel, antiker Friedhöfe und anderer historischer Stätten ab. Sämtliche Abenteuer von Schillers „Bürgschaft“ schienen sich in Syrakus zu materialisieren. Die Häscher von Dionys, dem Tyrannen, lauerten ganz bestimmt hinter jeder Stechpalme.

An einem grellen Sonnentag betraten wir ein Gebäude, aus dem leise Musik drang, die mir bekannt vorkam. Ich achtete nicht weiter darauf, denn meine Augen mussten sich erst an das gedämpfte Licht im Inneren des Hauses gewöhnen. Alle Türen standen offen, die Fenster waren mit hölzernen Jalousien verriegelt. Es roch leicht modrig, nach welken Blumen, Parfum und Schweiß.

An den Wänden aufgereiht beugten ältere Frauen sich über zarte Handarbeiten, häkelten, stickten und klöppelten. Noch leicht geblendet wunderte ich mich, wie sie im Dämmerlicht überhaupt etwas sehen konnten. Sie alle waren schwarz gekleidet, wirkten ärmlich, teils mehrfach beeinträchtigt und richteten nun ihre Augen auf uns. Eine Aufseherin hieß uns willkommen und erkundigte sich, woher wir kämen.

„Dalla Swizzera“, erklärte unser Reiseführer. „Dall‘ Austria“ glaubte ich, ergänzen zu müssen. Bereitwillig zeigten uns die Frauen ihre Arbeiten, die bewundernswert fein und perfekt ausgeführt waren. An einem Tisch lagen Spitzendecken, Buchumschläge, Sofakissen, Taschentücher, sogar gestärkte Lesezeichen aus.

Während ich noch überlegte, was ich erwerben wollte, spürte ich, wie jemand mich am Ärmel zupfte. Als ich mich umdrehte, blickte eine Frau mich schüchtern an. In der Hand hielt sie ihre Klöppelrolle.

„Mossa“, flüsterte sie mir zu. Ich verstand nicht, was sie meinte: „Come prego?“

„Mossa!“, wiederholte sie in dringlichem Ton und mit weit geöffneten Augen. Sie wies dabei in eine Zimmerecke. Ich folgte der Richtung ihres Fingers und sah einen Lautsprecher. „Mossa!“

Jetzt ging mir das sprichwörtliche Licht auf, denn die „Kleine Nachtmusik“ konnte ich zuordnen. „Si, Mozart!“, bestätigte ich, und wir lächelten einander zu. „Bella musica!“

Foto: Divazus Fabric Store / unsplash

© Maria Büchler 2022-08-21