MÜcklich

Vor wenigen Tagen ist gefühlt halb Deutschland nicht müde geworden in die Weiten des Orbits zu zwitschern: Wir sind mütend! Mütend über diese nicht enden wollende Geschichte. Diese lähmende Fußfessel. Dieses kleine Etwas, das es doch tatsächlich geschafft hat, sich in unseren Eierkuchen von Gesellschaft zu fressen um ihn jetzt von innen mit feinen Haarlinien-Schnitten zu durchsetzen.

Heute Mittag in der Warteschlange vor der Apotheke. Die Dame drei Wartende vor mir hat ihr Radio an. Am Mobiltelefon. Während sie mit einer weiteren Dame spricht. Einfachbeschallung scheint uns zusehends zu unterfordern. Da fällt es wieder. Das MÜtend Wort. Ein erschöpft klingender Reporter berichtet von einer wütenden Menge aus irgendeinem zentraleuropäischen Stadtpark. Eine Demo. Schon wieder.

Ich bin auch mü. Ziemlich sogar. Müde von Homeschooling hoch 4. Und Homeofficing hoch 2. Von Zetteln. Zettel ohne Ende. Und von keinen Zetteln mehr. Wenn der Toner wieder ko gegangen ist. Müde von den kleinen und größeren Streits rund um dieses kabellose Unding. Das, das in aller Kindermunde ist. Und dessen Bedeutung sie nur soweit erfassen, als dass nix mehr geht, wenn es aus ist. Dieses W mit hinten LAN dran. Selbst 24 Stunden am Tag wären nicht genug.

Müde von dem Rauschen. Von dem Niealleinsein. Und doch ab und an einen Anflug von Einsamkeit verspürend.

Aber gerade merk ich, dass ich mücklich bin. Glücklich, noch immer gesund geblieben zu sein. Niemals auch nur in Quarantäne gewesen zu sein. Keinen lieben Menschen verloren, sogar einer dazugeboren in diesem Jahr. In einem Land lebend, in dem man lauthals in die Luft kratzen kann, in einer Diktatur zu leben. Ohne Wunden davon zu tragen. Die wirklichen Wunden verarzten an viel leiseren Orten die, die unsagbar mütend sein müssen.

Gehe am Waldrand. Es dämmert schon. Zu kalt für diese Jahreszeit. Habe Cisco im Ohr. Er malt sich den Anfang nach dem Ende aus. Wie ein grandioses nicht enden wollendes Umarmungsfest. Eine Auferstehung. Ein Frühling im Sommer.