Murmeln

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Also wirklich … manche Spiele sterben nie aus … z.B. das Murmeln – habe ich in der Kindheit so gern mit meinem Freund Micha gespielt … Also, da hat man so eine Handvoll – sagen wir mal 10 – gleichgroße Tonkugeln, möglichst gleichfarbig, und mehrere Bugger (das sind wunderschöne Glaskugeln, etwas größer als die Murmeln) – dann wird ein Loch in die Erde gebohrt und ca. drei Meter weiter ein Stöckchen gelegt. Nun muss man mit gebogenem Zeigefinger die Murmeln mit möglichst wenig Stößen in das Loch schieben. Gewonnen hat der, der bei – sagen wir mal – fünf Spieldurchgängen die wenigsten Schubser hatte. Und wer mit einem Mal alle seine Tonkugel mit höchstens einem Schubser untergebracht hatte, der hatte dann gleich gewonnen … ist so ähnlich wie beim Golfspiel.

Ach so, Einsätze waren die Bugger, also Spieleinsätze … wer das Spiel gewonnen hatte, erhielt einen Bugger … Ach, was für schöne Bugger ich gewonnen, nein erspielt – und dann auch wieder verloren hatte.

Murmeln war ein tolles Spiel – natürlich analog und draußen – mit Geschick und Fantasie hat man es zum Murmelmeister gebracht – war ich auch mal – sogar mehrmals. Hab dann stolz meine Bugger meinen Eltern präsentiert.

Irgendwann riss die Erfolgssträhne – ich verlor ständig, alle meine Bugger gingen zu Micha – bis mir auffiel, dass er beim Fingerhakeln irgendwie anders schnippste – also er schob die Murmel durch heimliches Anhebeln in das Loch – das war aber bei dem Spiel streng untersagt – so jedenfalls die Spielregeln – und er wollte auch den Abstand immer mehr kürzen – zu seinen Gunsten. Jedenfalls wurde das Spiel immer weniger ausgeglichen – ich “intervenierte” – er “revanchierte” sich – und irgendwann durfte er nicht mehr mitspielen – jedenfalls so lange nicht, bis er die Regeln begriffen hatte und nicht mehr mogelte.

Gestern Abend im Fernsehsender – ich weiß nicht mehr, welcher Kanal es war – wurde ich wieder daran erinnert – Hurra, es wird wieder gemurmelt. Das Spiel gibt es noch. Und nun spielen es auch Erwachsene! Nee, ich meine nicht das Spiel Murmelmania – das ist ja hochintellektuell, hat was mit Kreativität zu tun und mit Intelligenz und Wissen.

Ich meine das Spiel, das da draußen in Realität sich gerade aufbaut.

Da sitzen ein paar große Kinder, die ihre Murmelspiele ausgepackt haben, diese nun zurecht rücken, ihre unterschiedliche Größe zeigen, stolz zeigen, wie schön sie sind und selten, und echte Prachtstücke sind auch dabei.

Und schon zählen sie ihre Murmeln einzeln, legen sie zurecht, bis es – so glauben sie – einen Sinn gibt. Und ihr Stöckchen haben sie auch dabei und legen das aus, ziehen Linien, legen Einflusszonen zurecht.

Ach ja, die Bugger liegen auch da … man könnte neidisch werden, so schön und so selten sind sie.

Nur irgendwie verstanden wir das Spiel besser: Wer mogelte, durfte nicht mehr mitspielen. Und abends kamen alle Murmeln in einen kleinen Sack.

Und Bugger durften nie verletzt werden.

© Heinz-Dieter Brandt 2022-02-02

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