Musik in Ohr & Herz

merle wuttke

von merle wuttke

Story

Wir leben mitten in der Stadt, unser Viertel ist wie ein Dorf – und dafür lieben wir es. Begegnungen, Kontakt: all das passiert nebenbei.

Immer wieder trifft man Leute aus der Nachbarschaft, aus der Schule oder dem Bekanntenkreis. Manche von ihnen kennt man seit langer Zeit vom Sehen und Spazierengehen, dann nickt man sich freundlich zu; andere näher, dann findet sich immer Zeit für ein kurzes Gespräch.

Man ist per Du mit der Besitzerin vom Käseladen und dem Mann vom Getränkeshop. Und die Tischtennisplatte gegenüber, auf der anderen Straßenseite, wird bei gutem Wetter zum Nachbarschaftstreff.

Das ist jetzt alles anders. Wir halten Abstand, sprechen aus zwei Meter Entfernung miteinander – wenn überhaupt. In diesen Tagen bleibt es meist bei einem freundlichen Nicken. Eine kleine Geste, die große Verbundenheit zeigt.

Und dann, gestern Abend, 18 Uhr. Unten an der Tischtennisplatte stehen zwei Menschen mit gebührend Abstand: der eine hält eine Posaune in den Händen, der andere ein Saxophon. Zunächst etwas zaghaft hören wir ein paar Töne. Mehr und mehr Fenster zur Straße öffnen sich. Die beiden Musiker spielen die Europa-Hymne, dann hört man das Stück auf einmal aus einem der Fenster gegenüber über Lautsprecher. Die ersten Stimmen hinter den Fenstern singen leise mit, sachte schwillt der Gesang an. Würden wie sonst die Autos auf der Straße durchbrausen, nichts davon wäre so möglich. Doch jetzt das – ein Mini-Konzert von und mit eigentlich fremden Menschen!

Unser Sohn holt seine Klarinette, stellt sich ans Fenster, hört auf die anderen Musiker, stimmt ein. Es ist eine musikalische Andacht. Fünf Minuten Musik, die das Herz öffnen und eine Botschaft haben: Wir sind nicht allein. Wir hören einander – auch jetzt. Danke, liebe Musiker*innen! I

© merle wuttke 2020-03-23

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