Muss es Tafelspitz sein?

Dagmar Lücke-Neumann

von Dagmar Lücke-Neumann

Story

Wir lieben die Kaffeehauskultur in Wien, die köstlichen Mehlspeisen, aber auch die typischen Wiener Gasthäuser. Die Restaurants der Familie Plachutta rühmen sich der traditionellen Rindfleisch-Gerichte. Dazu gehört unweigerlich der Tafelspitz.

Ein kleiner Flyer enthält die Umrisse eines Rinds und benennt die Teilstücke, die für den Tafelspitz offenbar unabdingbar sind: Scherzeln, Spitz und Schwanzerl. Würde ich diese Fleischstücke bei einem Hamburger Schlachter verlangen, würde ich irritiert angeblickt. Wie gut, dass Plachutta mich mithilfe eines kleinen Faltblatts aufklärt.

Die eben genannten Fleischstücke garen in einer immer kraftvoller werdenden Brühe in Kupferkesseln. Das Rindermark gehört dazu. Dieses kann ich später auf geröstetem Brot verstreichen und mir zu der köstlichen Bouillon schmecken lassen. Falls ich das denn so haben möchte.

Wir waren mit einer Freundin und Wien-Kennerin unterwegs, die sich den Tafelspitz mit allen Zutaten bestellte und auf Frittaten als Einlage Wert legte. Ich muss gestehen, dass ich eine kräftige Brühe sehr schätze, das Tafelspitz-Fleisch aber nicht so gern mag. Das liegt an der Garmethode und wohl auch an meiner Erinnerung an etwas fades Suppenfleisch in Kindheitstagen.

Da die Karte weitere Spezialitäten zu bieten hat, wie zum Beispiel Wiener Schnitzel, Rostbraten und Pfeffersteaks entschied ich mich für den Rostbraten, den ich zu Hause in Hamburg nicht esse und der für mich auch zu Wien gehört. Plachuttas Speisekarte bestätigt mir das. Mein Mann und Reisegefährte wählte ein Pfeffersteak. Wenn ich nicht völlig falsch liege, wird dieses aus dem Stück gewonnen, das die Österreicher Beiried nennen. Wir bezeichnen dieses Stück als Filet. Es ist das zarteste und magerste Fleisch, das ein Rind zu bieten hat.

Unsere Wahl erwies sich als vorzüglich, wäre da nicht unsere Begleiterin gewesen, für die es ein Frevel gewesen sein muss, in diesem Restaurant keinen Tafelspitz genossen zu haben. Während mein Göttergatte jegliche Kritik an den von uns gewählten Speisen ignorierte, verwies ich auf die Speisekarte und weitere Spezialitäten des Hauses. Muss es denn für jeden Tafelspitz sein?

© Dagmar Lücke-Neumann 2023-03-16

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